Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bottini, Oliver - Louise Bonì 02

Titel: Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
Autoren: Im Sommer der Mörder
Vom Netzwerk:
schattige kleine Gassen, kam an bunten Häusern vorbei, die »Zum Stern« hießen oder
    »Zum goldenen Löwen«. In einem italienischen Stehcafé trank sie Espresso. Sie fühlte sich wohl in dieser bunten, lebendigen, gelassenen Stadt, in der selbst die Häuser Namen hatten.
    Dann saß sie auf einer Bank in der Sonne und dachte, was für ein Wahnsinn, lass doch den armen Mann in Ruhe, er ist nach Kaiserslautern geflohen, später in den Odenwald, am Ende nach Konstanz, lass doch den armen Mann in Ruhe.
    Aber sie konnte ihn nicht in Ruhe lassen. Sie wollte sich endlich davon überzeugen, dass es ihm halbwegs gut ging.
    Wollte den Winter abschließen.
    Vor ein paar Tagen war sie an Nikschs Grab gewesen, dann auf dem Flaunser, wo Taro gestorben war. Nun war Hollerer dran.
    Sie nahm das Handy und wählte die Nummer seiner Schwester.
    Die Schwester wusste nicht, wer sie war. Eine ehemalige Kollegin, ach so? Wie schön, dass die Kollegen sich nach so langer Zeit interessierten. Aber der Johann Georg war nicht da, um diese Zeit nie.
    »Wo ist er denn?«
    »Wo er ist? Der geht morgens immer am Pier spazieren, allmählich gewöhnt er sich ans Wasser, lang hat’s gedauert, er mag ja das Wasser nicht, er mag bloß sein Dorf und seine Felder und seine Hügel, wissen Sie?« Die Schwester lachte. »Aber jetzt sitzt er morgens immer am Wasser und gewöhnt sich dran.«
    »Wissen Sie, wo?«
    »Wo er sitzt und sich gewöhnt? Bei der ›Imperia‹, die mag er ja, bloß mehr mag er nicht von Konstanz, erst recht nicht das viele Wasser, aber …«
    »Ist das ein Schiff?«, unterbrach Louise den Redefluss.
    Die Schwester lachte überrascht. »Ein Schiff?« Sie lachte weiter.
    Louise legte auf.

    Die Imperia war eine Statue und stand unmittelbar vor der Hafeneinfahrt. Eine neun oder zehn Meter hohe Frauengestalt, großbusig, im halb geöffneten Kleid, das eine Bein leicht nach vorn geschoben, zwei gnomartige Männerfiguren in den erhobenen Händen. Langsam drehte sie sich um die eigene Achse. Ein draller, steingewordener Traum und Alptraum von Frau.
    Louise überquerte Bahnschienen, ging Richtung See. Zu beiden Seiten des Fußwegs standen in dichten Reihen knorrige Bäumchen. Ein gutes Stück vor ihr ging ein dicker, krummer Mann mit Stock. Sie sah den Mann im Schnee liegen, aus seinen Augen liefen Tränen, aus seinem Leib Ströme von Blut. Dann lag der Mann in einem Krankenbett, sie hielt seine kraftlose Hand, dann war der Mann fort.
    Sie wartete, bis er sich auf eine Bank am Wasser gesetzt hatte, dann ging sie zu ihm.
    »Hollerer …«

    Er wandte den Kopf. Sein Gesicht war faltiger und blasser als im Winter, aber er wirkte weniger schlampig, weniger verwahrlost. Keine Krümel auf der Hemdbrust, keine Bartstoppeln, und das Hemd steckte in der Hose. Die Schwester, dachte sie. Redete nicht nur, sondern kümmerte sich auch.
    »Na so was«, brummte er. Es klang nicht unfreundlich.
    »Hollerer.« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, strich darüber.
    »Au.«
    »Entschuldigung.« Sie zog die Hand zurück. Jetzt erinnerte sie sich. Eine Schulter zerschmettert, eine Niere zerfetzt.
    »Wen haben wir denn da«, sagte Hollerer.
    »Jagen Sie mich nicht fort.«
    »Fortjagen? Ach wo.« Er sprach langsamer als früher, bewegte sich langsamer. Das Leben schien langsamer und ordentlicher geworden zu sein bei der Schwester in Konstanz.
    Sie setzte sich neben ihn. »Wie geht’s Ihnen? Geht’s Ihnen gut? Was machen die …«
    »Die Löcher?« Er schnaubte durch die Nase. »Sind zugewachsen. Die Schulter ist kaputt, und die Niere ist raus, aber von beidem hat der Mensch ja zwei.«
    Sie schmunzelte.
    »Bloß den Mensch selbst, den gibt’s halt immer nur einmal.«
    Kein Vorwurf, dachte sie. Nur eine Feststellung.
    Sie wandte sich ab, blickte schweigend auf den See hinaus.
    Das gegenüberliegende Ufer war in der diesigen Luft nur als schmale dunkle Linie zu erkennen. Dicht darüber hingen die Regenwolken.
    Was für die Toten galt, dachte sie, galt auch für die Lebenden.
    Sie spürte, dass Hollerer sie ansah.
    »Und Sie? Was machen Sie hier? Urlaub an diesem scheußlichen See? Ist das nicht ein scheußlicher See? Viel zu groß, viel zu viele Menschen drum rum. Und dieser Ort, Konstanz.« Er schnaubte. » Scheußlicher Ort, viel zu sauber.

    Rausgeputzt wie so ein geziertes Dämchen, das glaubt, es wär was Besseres.«
    Sie lächelte. Das Brummige kannte sie, doch das Nörgelige war neu. Vielleicht, dachte sie, lag’s ja an der Schwester.
    Schwestern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher