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Bony und die weiße Wilde

Bony und die weiße Wilde

Titel: Bony und die weiße Wilde
Autoren: Arthur W. Upfield
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jedes einzelne, als wären wir eine einzige große Familie. Marvin fiel das Lernen ungewöhnlich leicht. Er ging auf die Mittelschule nach Bunbury und dann nach Perth auf die Lehrerbildungsanstalt. Er schrieb regelmäßig Kurzgeschichten für verschiedene Zeitschriften, ohne daß seine schulischen Leistungen darunter gelitten hätten.«
    Matt schwieg und beschäftigte sich mit seiner Pfeife. An Bonys anderer Seite $aß Emma, reglos die Hände im Schoß gefaltet. Schließlich seufzte Matt auf und fuhr fort: »Marvin brauchte überhaupt nicht zu lernen. Es flog ihm alles zu. Er las ein Gedicht, klappte das Buch zu und sagte es auf. Wenn er aus der Kirche nach Hause kam, wiederholte er die Predigt Wort für Wort. Als er sein Abschlußexamen auf der Lehrerbildungsanstalt gemacht hatte, ging er zum Theologischen College, um Pfarrer zu werden. Und allen schien er ein ausgesprochenes Sonntagskind zu sein. Dann kam er in den großen Ferien nach Hause - groß und kräftig geworden, ein erwachsener Mensch. Die Ferien gingen zu Ende, und Marvin mußte ins College zurück. Unsere Rose war damals ein wenig schwächlich, und so dachten wir, daß ihr ein Aufenthalt in Perth guttun würde. Es war vorgesehen, daß sie dort drei Monate bei ihrer Tante verbringen sollte. Wir hielten es alle für eine gute Idee, wenn sie die lange Eisenbahnfahrt zusammen mit Marvin machte. Der Zug fuhr morgens um acht, und Luke sollte die beiden nach Timbertown bringen. Luke und Marvin kamen auch pünktlich mit dem Wagen herüber, aber dann fiel es Luke plötzlich ein, daß er ein paar Papiere zu Hause vergessen hatte, die er für seinen Vater auf der Bank deponieren sollte. Er entschloß sich also, mit dem Milchauto zurückzufahren, die Papiere zu holen und anschließend mit dem Lastwagen nach Timbertown zu kommen, um seinen Wagen dort abzuholen. Rose und Marvin wollten also allein zur Bahn fahren.«
    Matt klopfte seine Pfeife aus.
    »Rose war natürlich sehr aufgeregt, hatte Reisefieber. Sie sah an dem Morgen entzückend aus in ihrem blauen Kleid, dem weißen Hut und den weißen Schuhen. Später fanden Luke und der Lastwagenfahrer sie auf der Straße. Sie kroch auf den Knien umher und tastete wie blind um sich. Ihr blaues Kleid war zerfetzt. Ich war nicht zu Hause, als man sie brachte. Heute bin ich mit Emma zu der Überzeugung gelangt, daß wir damals wohl doch einen Fehler gemacht haben. Wir hätten sofort die Polizei verständigen sollen, damit man dem rasenden Tiger Einhalt hätte gebieten können. Aber wir unterließen es. Wir leben hier von der Umwelt abgeschnitten und behalten unsere Sorgen für uns. Mrs. Stark ist gelernte Krankenschwester und Ted holte sie herüber. Luke fuhr hinter Marvin her, aber der hatte nicht in Timbertown auf den Zug gewartet. Erst vierzehn Tage später fand man den Wagen in Kalgorlie. Marvin war in die Oststaaten weitergefahren.«
    Matt seufzte erneut und schwieg minutenlang. Dann stellte er eine Frage, die er sich selbst wohl schon tausendmal gestellt haben mochte: »Warum? So sagen Sie mir doch - warum? Wie kommt ein ordentlich erzogener junger Mann dazu, so etwas zu tun? Er ist hochbegabt, hat gottesfürchtige Eltern. Und wie ein Blitz aus heiterem Himmel verwandelt er sich plötzlich in ein rasendes Ungeheuer. Erklären Sie mir, wie so etwas möglich ist!«

5

    Eine Wolke schwebte über den Karribaum hinweg und überzog das tiefe Blau des Himmels mit leuchtendem Weiß.
    Als Matt wieder zu sprechen begann, war seine Stimme sehr viel ruhiger.
    »Ted vertrat die Ansicht, daß Marvin und Luke die Sache mit den vergessenen Papieren vorher abgesprochen hatten, um Marvin Gelegenheit zu geben, allein mit Rose nach Timbertown fahren zu können. Als Ted nämlich Mrs. Stark zur Hilfe holte, sprach er mit Jeff und erfuhr, daß die bewußten Papiere bereits zwei Tage vorher zur Bank hätten gebracht werden sollen. Ted hat sich deswegen sogar mit Luke geprügelt Eine Woche später ging Luke nach Perth und suchte sich dort eine Stellung.«
    »Und Rose?« fragte Bony. »Sie erholte sich offensichtlich von ihren Verletzungen?«
    »Von den Verletzungen - ja. Aber nicht so schnell von dem seelischen Schock. Mrs. Stark war rührend um sie besorgt, und ebenfalls Sarah - Jeffs Frau. Sarah wollte es zunächst nicht glauben und hielt uns alle für Lügner, aber später mußte sie dann doch einsehen, daß Marvin nicht der Mensch war, für den wir ihn gehalten hatten. Es dauerte lange, bis Rose keine Alpträume und Weinkrämpfe mehr
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