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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse
Autoren: Françoise Sagan
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Blicke und
Bewegungen, die er für sie hatte, richteten sich an eine Frau, die man nicht
kennt und die man kennen möchte in der Umarmung. Ich kannte diese Blicke,
manchmal überraschte ich Cyril dabei, und sie erweckten in mir gleichzeitig das
Verlangen, zu fliehen und ihn herauszufordern. Anscheinend war ich in diesem
Punkt leichter zu beeinflussen als Anne; denn sie legte meinem Vater gegenüber
eine Gleichgültigkeit und Liebenswürdigkeit an den Tag, die mich beruhigten.
Langsam begann ich zu glauben, daß ich mich an jenem ersten Tag getäuscht
hätte; ich sah nicht, daß diese Liebenswürdigkeit, die keine andere Auslegung
zuließ, meinen Vater außerordentlich erregte. Und vor allem erregte ihn ihre
Art zu schweigen, ihre natürliche und so unbeschreiblich vornehme Art zu
schweigen. Und dazu Elsas ununterbrochenes Gezwitscher — es war ein Gegensatz
wie Sonne und Schatten. Arme Elsa! Sie schien wirklich nicht das geringste zu
ahnen, sie war weiterhin etwas zu gesprächig, etwas zu lebhaft und immer noch
entstellt vom Sonnenbrand.
    Eines Tages jedoch schien sie einen
Blick meines Vaters aufgefangen und verstanden zu haben; ich sah, wie sie ihm
vor dem Mittagessen etwas ins Ohr flüsterte. Einen Augenblick lang schien er
verärgert, erstaunt, dann willigte er lächelnd ein. Beim Kaffee stand Elsa auf,
ging zur Tür, drehte sich dort mit einer schmachtenden Bewegung um, die an den
amerikanischen Film erinnerte, und legte Jahrzehnte französischer Galanterie in
die Betonung ihrer Frage:
    »Kommen Sie, Raymond?«
    Mein Vater stand auf, errötete fast,
sagte etwas über die segensreiche Wirkung des Nachmittagsschlafes und folgte
ihr. Anne hatte sich nicht gerührt. Zwischen ihren Fingerspitzen rauchte eine
Zigarette. Ich fühlte die Verpflichtung, etwas zu sagen:
    »Manche Leute behaupten, daß ein
Nachmittagsschlaf sehr erquickend ist; aber ich glaube, das ist ein Irrtum...«
    Ich schwieg sofort, als mir bewußt
wurde, wie doppelsinnig meine Worte waren.
    »Ich bitte dich«, sagte Anne trocken.
    Sie sah gar keinen Doppelsinn; sie war
sofort überzeugt davon, daß ich einen unzweideutig geschmacklosen Witz gemacht
hatte. Ich blickte sie an. Ihr Gesicht war von einer so gewollten Ruhe und
Entspanntheit, daß es mich rührte. Ob sie Elsa in diesem Augenblick
leidenschaftlich beneidete? Um sie zu trösten, kam ich auf eine zynische Idee,
die mich entzückte — meine eigenen Zynismen entzückten mich immer und erfüllten
mich mit einer Art von Selbstvertrauen. Ich hatte das betörende Gefühl, mein
eigener Komplice zu sein. Ich konnte den Gedanken nicht bei mir behalten, ich
mußte ihn aussprechen — laut:
    »Wissen Sie, Anne, mit dem Sonnenbrand,
den Elsa hat. kann diese Art von Nachmittagsschlaf nicht sehr berauschend sein,
weder für ihn noch für sie.«
    Ich hätte besser getan zu schweigen.
    »Solche Überlegungen sind mir
außerordentlich zuwider«, sagte Anne, »und in deinem Alter sind sie nicht nur
dumm, sondern geradezu peinlich.«
    Ich wurde plötzlich kleinlaut.
    »Es war doch nur ein Spaß«,
entschuldigte ich mich. »Ich bin überzeugt, daß sie im Grunde sehr glücklich
sind.«
    Sie wandte mir ihr Gesicht zu, es war
müde, erschöpft. Ich bat sie sofort um Verzeihung. Sie schloß wieder die Augen
und begann mit leiser, geduldiger Stimme zu sprechen:
    »Deine Vorstellung von der Liebe ist
ein bißchen einfältig, Cecile. Liebe ist nicht eine Folge von Empfindungen, die
voneinander unabhängig sind...«
    Meine Lieben waren aber alle so, dachte
ich: Ein Gesicht, eine Bewegung, ein Kuß — und plötzlich flammte ein Gefühl auf
— Augenblicke, die aufblühten und vergingen, ohne Zusammenhang, das war alles,
woran ich mich erinnerte.
    »Liebe ist anders«, sagte Anne. »Liebe
ist unveränderliche Zärtlichkeit, Sanftheit, Sehnsucht... Dinge, die du nicht
verstehen kannst.«
    Sie machte eine ausweichende
Handbewegung und nahm eine Zeitung. Ich hätte es lieber gehabt, wenn sie wütend
geworden wäre, wenn die Dürftigkeit meiner Gefühle sie aus ihrer resignierten
Gleichgültigkeit gerissen hätte. Sie hat recht, dachte ich. Ich lebte dahin wie
ein Tier, abhängig von dem Willen anderer Menschen — ich war arm und schwach.
Ich verachtete mich, und das war mir entsetzlich unangenehm, denn es war mir
ungewohnt, ich hatte sozusagen überhaupt kein Urteil über mich, weder ein gutes
noch ein schlechtes.
    Ich ging in mein Zimmer und begann zu
grübeln.
    Das Leintuch war warm unter meinem
Körper, und wieder
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