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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse
Autoren: Françoise Sagan
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verachtete. Man kann an
wertlosen Dingen ebenso hängen wie an anderen. Aber Anne betrachtete mich nicht
als ein denkendes Wesen.
    Und plötzlich erschien es mir dringend,
ja lebenswichtig, sie eines Besseren zu belehren. Ich ahnte weder, daß sich so
bald eine Gelegenheit bieten, noch, daß ich sie ausnützen würde. Übrigens gab
ich bereitwillig zu, daß ich in einem Monat vielleicht ganz anders über diese
Dinge denken würde, daß meine Überzeugungen nie lange anhielten. Ich hatte
keine Veranlagung zu einer großen Seele!

FÜNFTES KAPITEL
     
    U nd dann kam eines Tages das Ende. Mein
Vater verkündete uns beim Frühstück, daß wir am Abend nach Cannes fahren
würden, um einmal wieder zu tanzen und zu spielen. Ich erinnere mich noch an
Elsas Freude. Sie glaubte, daß sie in der vertrauten Atmosphäre der Kasinos
wieder in ihre Rolle einer »femme fatale« zurückfinden würde, die durch den
Sonnenbrand und die Abgeschlossenheit, in der wir lebten, etwas gelitten hatte.
Überraschenderweise hatte Anne gegen unsere Vergnügungssucht nichts einzuwenden;
sie schien sogar ganz einverstanden zu sein. Ich war daher in keiner Weise
beunruhigt und ging gleich nach dem Abendessen auf mein Zimmer, um ein
Abendkleid anzuziehen — übrigens das einzige, das ich besaß. Mein Vater hatte
es ausgesucht. Es war aus einem exotischen, für mich zweifellos etwas zu
exotischen Stoff, denn mein Vater zog mich, ich weiß nicht ob aus Geschmack
oder aus Gewohnheit, gern als ›femme fatale‹ an. Ich traf ihn unten, strahlend
schön in einem neuen Smoking, und legte ihm die Arme um den Hals.
    »Du bist der schönste Mann, den ich
kenne.«
    »Außer Cyril«, sagte er, ohne es
wirklich zu glauben. »Und du, du bist das hübscheste Mädchen, das ich kenne.«
    »Nach Elsa und Anne«, sagte ich, aber
ich glaubte es auch nicht.
    »Da sie noch nicht da sind und sich die
Freiheit nehmen, uns warten zu lassen, komm und tanz mit deinem Vater und
seinem Rheumatismus.«
    Da war wieder dieses Glücksgefühl, mit
dem die Abende begannen, an denen wir zusammen ausgingen. Er hatte wirklich
nichts von einem alten Vater. BeimTanzen atmete ich seinen vertrauten Geruch
von Eau de Cologne, von Wärme und Tabak. Er tanzte im Takt, die Augen halb
geschlossen, ein kleines, glückliches Lächeln auf den Lippen, das er
ebensowenig unterdrücken konnte wie ich.
    »Du mußt mir den Bebop beibringen«,
sagte er und vergaß den Rheumatismus.
    Elsa erschien, und er hörte zu tanzen
auf, um sie mit einem mechanischen Murmeln der Bewunderung zu empfangen. Sie
kam in ihrem grünen Abendkleid langsam die Treppe herunter, um ihre Lippen
spielte das blasierte Lächeln einer Dame von Welt — ihr Kasinolächeln. Sie
hatte ihr möglichstes getan, um zu verbergen, daß die Sonne ihre Haare
ausgedörrt und ihre Haut verbrannt hatte, was zwar verdienstvoll war, sie aber
nicht gerade verschönte. Glücklicherweise schien sie das jedoch selber nicht zu
bemerken.
    »Gehen wir?«
    »Anne ist noch nicht da«, sagte ich.
    »Geh hinauf und schau, ob sie fertig
ist«, sagte mein Vater, »es wird Mitternacht, bis wir in Cannes sind.«
    Ich ging die Treppe hinauf, verwickelte
mich dabei in mein Abendkleid und klopfte an Annes Tür. Sie rief mir zu,
hereinzukommen. Ich blieb auf der Schwelle stehen. Sie trug ein graues Kleid
von einem unerhörten Grau: fast weiß, an dem das Licht haften blieb wie im
Morgengrauen an gewissen Tönungen des Meeres. Aller Zauber der Reife schien an
jenem Abend in ihr vereinigt.
    »Herrlich!« sagte ich. »O Anne, was für
ein Kleid!«
    Sie lächelte in den Spiegel, wie man
jemandem zulächelt, den man verlassen will.
    »Dieses Grau ist ein Erfolg«, sagte
sie.
    » Sie sind ein Erfolg«, sagte ich.
    Sie nahm mich beim Ohr und blickte mich
an. Ihre Augen waren blau und dunkel. Ich sah sie aufleuchten und lächeln.
    »Du bist ein liebes kleines Mädchen,
wenn du auch manchmal etwas schwierig bist.«
    Sie ging an mir vorbei, ohne mein Kleid
auch nur eines Blickes zu würdigen, worüber ich einerseits ganz froh,
andererseits aber auch gekränkt war, und stieg als erste die Treppe hinunter.
Ich sah, wie mein Vater ihr entgegenging. Er blieb unten auf dem Treppenabsatz
stehen, den Fuß auf der untersten Stufe, das Gesicht zu ihr hinaufgewandt. Auch
Elsa sah ihr zu, wie sie herunterkam. Ich erinnere mich ganz genau an diese
Szene: im Vordergrund, vor mir, der goldbraune Nacken, die vollendeten
Schultern von Anne, etwas weiter unten das geblendete Gesicht meines
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