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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse
Autoren: Françoise Sagan
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hörte ich Annes Worte: »Liebe ist anders, Liebe ist
Sehnsucht.« Habe ich je nach irgend jemandem Sehnsucht gehabt?
    Ich erinnere mich kaum mehr an die
Ereignisse dieser vierzehn Tage. Wie ich schon einmal gesagt habe: Ich wollte
nicht wahrhaben, daß irgend etwas vorging, daß irgend etwas drohte. An später
erinnere ich mich natürlich sehr genau, denn in dem zweiten Teil dieser Ferien
habe ich all meine Konzentration und all meine Möglichkeiten aufgeboten. Aber
diese drei ersten Wochen, diese drei im Grunde glücklichen Wochen...
    An welchem Tag war es, als mein Vater
ganz offen auf Annes Mund blickte, wann war es, als er ihr Gleichgültigkeit
vorwarf und so tat, als ob er darüber lache? Wann hat er ihren scharfen
Verstand mit Elsas kindlicher Dummheit verglichen, ohne auch nur dabei zu
lächeln?
    Ich beruhigte mich mit der sehr
törichten Idee, daß sie sich ja schon seit fünfzehn Jahren kannten, und wenn es
ihnen bestimmt gewesen wäre, sich zu lieben, so hätten sie schon früher damit
angefangen. ›Und wenn es trotzdem noch dazu kommen muß‹, sagte ich mir, ›wird
mein Vater drei Monate lang verliebt sein, und Anne werden ein paar
leidenschaftliche Erinnerungen und ein kleines Gefühl der Demütigung zurückbleiben‹…
    Wußte ich wirklich nicht, daß Anne
keine Frau war, die man so verlassen konnte?
    Aber Cyril war da und füllte meine
Gedanken aus. Am Abend gingen wir oft in die Nachtlokale von Saint-Tropez; wir
tanzten zu den gebrochenen Klängen einer Klarinette und sagten uns dabei Worte
der Liebe, Worte, die am Abend süß und wunderbar waren und die ich am nächsten
Morgen vergessen hatte. Am Tag segelten wir an der Küste entlang. Manchmal
begleitete uns mein Vater. Er schätzte Cyril sehr, besonders seit dieser ihn
einmal bei einem Crawl-Wettschwimmen hatte gewinnen lassen. Er nannte ihn »mein
kleiner Cyril«, Cyril nannte ihn »Monsieur«; aber ich fragte mich, wer von
beiden »der Kleine« und wer der Erwachsene war.
    Eines Nachmittags gingen wir zum Tee zu
Cyrils Mutter. Sie war eine alte Dame, ruhig, immer lächelnd, und sie sprach zu
uns über die Probleme der Witwen und die Probleme der Mütter. Mein Vater war
voller Teilnahme, warf Anne dankbare Blicke zu und machte der Dame zahllose
Komplimente. Ich muß hier gestehen, daß er niemals auf die Idee kam, seine
Anstrengungen könnten vergeudet sein. Anne betrachtete dieses Schauspiel mit
einem liebenswürdigen Lächeln. Auf dem Rückweg erklärte sie, daß sie die Dame
ganz reizend fände. Ich begann heftig über alte Damen dieser Sorte zu
schimpfen. Die anderen wandten mir ein nachsichtiges und amüsiertes Lächeln zu.
    »Ihr scheint nicht zu bemerken, daß sie
äußerst zufrieden mit sich selber ist«, schrie ich. »Daß sie stolz und
glücklich über ihr Leben ist, weil sie das angenehme Gefühl hat, ihre Aufgabe
erfüllt zu haben und...«
    »Aber es ist wahr«, sagte Anne. »Sie
hat das, was man die Aufgaben einer Mutter und Gattin nennt, erfüllt...«
    »Und ihre Aufgabe als Hure?« sagte ich.
    »Ich habe Derbheiten nicht sehr gern«,
sagte Anne, »auch nicht, wenn sie paradox sind.«
    »Aber das ist nicht paradox. Sie hat
geheiratet, wie jeder heiratet, aus sinnlicher Begierde oder weil es sich so
gehörte. Sie hat ein Kind gehabt — ihr wißt doch, wie man Kinder kriegt?«
    »Sicher nicht so gut wie du«, machte
Anne sich lustig, »aber ich habe gewisse Vorstellungen davon.«
    »Sie hat also dieses Kind aufgezogen.
Die Aufregungen und Qualen eines Ehebruchs hat sie sich wahrscheinlich erspart.
Sie hat ein Leben gelebt wie tausend andere Frauen, und darauf ist sie stolz,
versteht ihr, sie ist stolz darauf! Ihre Rolle war die einer gutbürgerlichen Frau
und Mutter, und sie hat nichts getan, um ihr zu entrinnen. Sie rühmt sich, dies
und das unterlassen zu haben, statt auf etwas Vollbrachtes stolz zu sein.«
    »Du redest ziemlichen Unsinn«, sagte
mein Vater.
    »Es ist ein frommer Selbstbetrug«, rief
ich. »Nachher sagt man sich: ›Ich habe meine Pflicht getan‹, weil man nichts
getan hat. Wenn sie es in dem Milieu, in dem sie geboren ist, zu einem
Straßenmädchen gebracht hätte —das wäre eine Leistung gewesen.«
    »Deine Ansichten sind modern, aber ohne
Wert«, sagte Anne.
    Vielleicht war es wahr. Ich dachte
nicht anders, als ich redete, aber es war richtig, daß ich es von anderen
gehört hatte. Dennoch war mein Leben und das Leben meines Vaters auf dieser
Theorie aufgebaut, und es verletzte mich, daß Anne sie
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