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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse
Autoren: Françoise Sagan
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im
übrigen auch nur »leicht«, weil man mir gesagt hat, daß sie leicht seien. Meine
Kümmernisse oder meine mystischen Krisen würde ich viel eher bereuen und
verleugnen. Die einzige meinem Wesen gemäße Charaktereigenschaft, die ich an
mir entdecken kann, ist die Freude am Vergnügen und am Glücklichsein.
Vielleicht habe ich nicht genug gelesen? Im Pensionat liest man nichts außer
erbaulicher Literatur. In Paris hatte ich keine Zeit zu lesen: Wenn mein Kolleg
vorüber war, schleppten mich Freunde ins Kino; sie waren erstaunt, weil ich die
Namen der Schauspieler nicht kannte. Oder wir setzten uns auf die Terrasse
eines Kaffeehauses in die Sonne; ich kostete das Vergnügen aus, mich unter eine
gedrängte Menschenmenge zu mischen, zu trinken, mit jemandem beisammen zu sein,
der einem in die Augen schaut, einen bei der Hand nimmt und dann aus dieser
Menschenmenge hinausführt. Wir gingen durch die Straßen bis nach Hause. Dort
zog er mich unter einen Torbogen und küßte mich. Ich entdeckte die Freude am
Küssen. Ich gebe diesen Erinnerungen nicht die Namen: Jean, Hubert, Jacques...
Namen, die für alle kleinen Mädchen eine Erinnerung sind. Am Abend wurde ich
erwachsener; ich ging mit meinem Vater aus, auf Gesellschaften, wo ich nicht
wußte, was ich machen sollte; es waren ziemlich gemischte Gesellschaften, und
manchmal unterhielt ich mich selber, und manchmal unterhielt ich die anderen durch
meine Jugend. Wenn wir aufbrachen, setzte mein Vater mich am Rückweg daheim ab
und brachte meistens noch eine Freundin in ihre Wohnung. Ich hörte ihn nicht
nach Hause kommen.
    Ich möchte nicht, daß man denkt, er
hätte mit seinen Abenteuern in irgendeiner Weise geprahlt. Er beschränkte sich
darauf, sie nicht vor mir zu verbergen oder genauer gesagt: er erfand keine
passenden Erklärungen oder Lügen, um die häufigen Einladungen einer Freundin
zum Mittagessen oder ihre schließliche — glücklicherweise vorübergehende —
Einquartierung in unserem Hause zu rechtfertigen. Auf jeden Fall konnte ich
über die Art seiner Beziehungen zu diesen »Gästen« nicht lange im unklaren
bleiben, und er legte zweifellos Wert darauf, sich mein Vertrauen zu erhalten,
um so mehr, als er bei dieser Methode seiner Phantasie keine besonderen
Anstrengungen zumuten mußte. Das war sicher vollkommen richtig. Sein einziger
Fehler war, daß durch ihn meine Vorstellung von der Liebe zeitweilig eine
zynische Nüchternheit erhielt, die in meinem Alter und bei meiner Erfahrung
eher belustigend als imponierend wirken mußte. Ich zitierte mit Vorliebe
Aphorismen, zum Beispiel Oscar Wilde: »Die Sünde ist der einzige lebendige
Farbfleck, der in der modernen Welt existiert.« Vollkommen überzeugt, machte ich
mir diesen Ausspruch zu eigen, und dies um so leichter, als ich ihn nie in die
Tat umgesetzt hatte. Ich glaubte, mein Leben würde sich Strich für Strich
diesem Satz nachzeichnen lassen, könnte von ihm seinen Sinn empfangen, würde
geradezu aus ihm hervorquellen wie ein perverses Bild von Epinal. Ich vergaß
die toten Zeiten, das Fehlen von Zusammenhängen und die frommen Regungen des
Alltags. In der Vorstellung entwarf ich mir ein Leben der Niedertracht und der
Gemeinheit.

DRITTES KAPITEL
     
    A m nächsten Morgen wurde ich durch einen
schrägen, wannen Sonnenstrahl geweckt, der mein Bett mit Licht überschwemmte
und mich aus seltsamen, ein wenig wirren Träumen riß, in denen ich mich gegen
irgend etwas sträubte. Im Halbschlaf versuchte ich, mit der Hand die beharrliche
Wärme von meinem Gesicht zu wischen, dann gab ich es auf. Es war zehn Uhr. Ich
ging im Pyjama hinunter auf die Terrasse, wo Anne saß und in einer Zeitung
blätterte. Ich sah, daß sie unauffällig und vollendet geschminkt war. Sie
schien sich niemals wirkliche Ferien zu gönnen. Da sie mich überhaupt nicht
beachtete, setzte ich mich schweigend mit einer Tasse Kaffee und einer Orange
auf eine Stufe und widmete mich den morgendlichen Genüssen: Ich biß in die
Orange, und ihr süßer Saft spritzte mir in den Mund; gleich darauf folgte ein
Schluck kochend heißen schwarzen Kaffees und wieder die frische Süße der
Frucht. Die Morgensonne wärmte meine Haare und glättete meine Haut. In fünf
Minuten würde ich baden gehen. Annes Stimme schreckte mich auf:
    »Ißt du nichts, Cécile?«
    »Morgens trinke ich lieber, weil...«
    »Du solltest noch drei Kilo zunehmen,
um einen präsentablen Anblick zu bieten. Du hast hohle Wangen, und man sieht
deine Rippen. Geh und hole dir
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