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Bonjour Tristesse

Bonjour Tristesse

Titel: Bonjour Tristesse
Autoren: Françoise Sagan
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nachdem sie den Wagen gehört
hat, dachte ich traurig. Sie hätte auch etwas früher kommen können, um sich mit
mir zu unterhalten, und wenn sie nur über mein Examen mit mir geredet hätte,
das ich im übrigen nicht bestanden hatte! Dieser letzte Gedanke tröstete mich.
    Mein Vater stürzte auf sie zu und küßte
ihr die Hand.
    »Ich habe eine ganze Viertelstunde lang
mit diesen Blumen im Arm und einem dummen Lächeln auf den Lippen auf dem
Bahnsteig gestanden. Gott sei Dank, daß Sie da sind! Kennen Sie Elsa
Mackenbourg?«
    Ich sah weg.
    »Wir haben uns sicher schon getroffen«,
sagte Anne sehr liebenswürdig. »Mein Zimmer ist herrlich, es ist zu nett von
Ihnen, daß Sie mich eingeladen haben, Raymond, ich war sehr müde.«
    Mein Vater seufzte hörbar auf. In
seinen Augen ging alles gut. Er machte Konversation, entkorkte Flaschen. Aber
ich sah einmal Cyrils leidenschaftliches Gesicht vor mir und dann Annes, beide
gezeichnet von heftigen Gefühlen, und fragte mich, ob diese Ferien so einfach
sein würden, wie mein Vater es zu glauben schien.
    Unser erstes Abendessen verlief sehr
vergnügt. Mein Vater und Anne sprachen über ihre gemeinsamen Bekannten, die
zwar nicht zahlreich, aber von besonderer Eigenart waren. Ich unterhielt mich
ausgezeichnet, bis zu dem Moment, da Anne erklärte, der Sozius meines Vaters
sei mikrozephal. Dieser Mann trank zwar sehr viel, aber er war sympathisch, und
mein Vater und ich hatten ein paar hübsche Abende mit ihm verbracht.
    Ich protestierte.
    »Lombard ist komisch, Anne. Ich habe
ihn schon sehr amüsant erlebt.«
    »Aber du mußt zugeben, daß er trotzdem
nicht ganz voll zu nehmen ist, und selbst sein Humor...«
    »Er hat vielleicht nicht die
landläufige Art von Intelligenz, aber...«
    Sie unterbrach mich mit milder
Nachsicht:
    »Was du Arten von Intelligenz nennst,
sind nur ihre Reifegrade.«
    Diese knappe und endgültige Art ihrer
Formulierung entzückte mich. Es gibt Formulierungen, die ein so erlesenes
geistiges Klima um mich schaffen, daß ich ihm erliege, selbst wenn ich das
Gesagte nicht ganz begreife. Annes Ausspruch erfüllte mich mit dem Wunsch, ein
kleines Notizbuch und einen Bleistift zu besitzen. Ich sagte es ihr. Mein Vater
lachte laut heraus.
    »Zumindest bist du nicht nachtragend.«
    Das konnte ich gar nicht sein, denn
Anne war nicht böswillig. Das spürte ich; sie war viel zu gleichgültig, ihre
Kritik ohne Spitze und zu vage, um boshaft zu sein. Dafür war sie um so
wirkungsvoller.
    Als Elsa an jenem Abend schnurstracks
auf das Zimmer meines Vaters zusteuerte, schien Anne ihre gespielte oder
wirkliche Zerstreutheit nicht zu bemerken. Sie hatte mir einen Pullover aus
ihrer Kollektion mitgebracht, aber sie ließ es nicht zu, daß ich mich dafür
bedankte. Dankesbeteuerungen langweilten sie, und da die meinen ohnedies nie
meinem Enthusiasmus entsprachen, sparte ich mir die Mühe.
    »Ich finde diese Elsa sehr
sympathisch«, sagte sie, bevor ich sie verließ.
    Sie blickte mir ohne Lächeln in die
Augen; sie suchte in mir nach einem Gedanken, den sie unter allen Umständen
ausrotten wollte. Ich sollte vergessen, daß ich sie einen Augenblick lang
unbeherrscht gesehen hatte.
    »Ja, ja, sie ist ein reizendes — eh —
junges Mädchen... sehr sympathisch.«
    Ich begann zu faseln. Sie mußte lachen,
und ich ging sehr verärgert zu Bett. Beim Einschlafen dachte ich an Cyril, der
vielleicht in Cannes mit irgendwelchen Mädchen tanzte.
    Ich bin mir klar darüber, daß ich die
Hauptsache vergesse — ich muß sie vergessen: die Gegenwart des Meeres, seinen
ununterbrochenen Rhythmus und die Sonne. Auch die vier Linden im Hof eines
Pensionats in der Provinz und ihren Duft habe ich vergessen; und das Lächeln
meines Vaters auf dem Bahnsteig, vor zwei Jahren, als ich aus dem Pensionat
zurückkam, dieses genierte Lächeln, weil ich Zöpfe und ein häßliches, fast
schwarzes Kleid trug; und seinen plötzlichen, triumphierenden Freudenausbruch
im Auto, weil ich seine Augen hatte, seinen Mund, und weil ich für ihn das
liebste und wunderbarste Spielzeug sein würde. Ich hatte noch nichts erlebt; er
würde mir Paris zeigen, den Luxus, das Leben von seiner schönsten und
leichtesten Seite. Ich glaube, die meisten Dinge, die mir damals Freude
machten, verdankte ich dem Geld: die Freude, in einem schnellen Auto zu fahren,
ein neues Kleid zu bekommen, Grammophonplatten, Bücher, Blumen zu kaufen. Ich
schäme mich dieser leichten Freuden auch heute noch nicht, und ich nenne sie
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