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Bokeh

Bokeh

Titel: Bokeh
Autoren: Chris P. Rolls
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dem es nicht um Geschäfte und neue Settings ging, kein Gespräch, welches sich mit privateren Dingen beschäftigte.
    Ich kenne fast jeden Partner oder Partnerin, die er in den letzten Jahren gehabt hat. Die eine zwei Wochen, die andere ein halbes Jahr und viele One-Night-Stands. Nichts hat bisher lange gehalten.
    Zu meinem Glück.
    Dirk ist kein Mann für jemand anderen außer mir. Das weiß ich. Niemand versteht ihn so, wie ich es tue. Dennoch war jedes Mal diese furchtbar nagende Angst da, er könnte es glauben, sich auf jemanden einlassen, der meinen potentiellen Platz an seiner Seite gefährden würde.
    Alles eine Frage der Zeit. Und ich habe Geduld.
    Vor der Kamera haben schon viele versucht, mir ebenbürtig zu sein, buhlten um seine Aufmerksamkeit. Nur wenigen ist es gelungen. Ausnahmen, die zufällig kamen und wieder verschwanden.
    Ich bin gut, ich bin der Beste und ich bleibe. Nur einer war ebenso gut, Dirk hat es mal erzählt, von Alex Rotkamp geschwärmt. Aber der ist raus aus dem Geschäft. Da ist jetzt niemand mehr, der so gut mit Dirk zusammenarbeiten kann, wie ich. Das weiß er sehr wohl zu schätzen und bucht mich regelmäßig.
    Unzählige Fotos von ihm zieren meine Mappe, dienten mir als Eintrittskarte zu lukrativen Schauen und großen Shootings. Er ist Teil meines Erfolges, wie ich Teil seines bin. Wir sind ein perfektes Team. Wir wären ein perfektes Paar.
    Das Taxi hält vor dem Studio. Ich kenne das Gebäude, war schon oft hier. Der Fahrer freut sich über sein Trinkgeld. Ich muss damit nicht geizen.
    Es ist warm, ein milder Frühlingstag und dennoch fröstel ich ein wenig. Seit einem Monat habe ich ihn nicht mehr gesehen, seit dem letzten Shooting in Frankreich. Seufzend streiche ich mir durch die Haare. Ein wenig kürzer als letztes Mal, meine Haut ist brauner durch zwei Wochen Sonne in der Karibik.
    Er wird es nicht bemerken.
    Sein Blick ist stets suchend, nimmt seine Umwelt anders wahr, als andere Menschen: wie durch den Fokus seiner Kamera. Immer auf der Suche nach Details. Immer auf der Jagd nach dem perfekten Motiv.
    Nur zu gerne würde ich dieses Motiv sein und war es schon unzählige Male. Allerdings nie so, dass sich sein Blick fokussiert. Nie, dass es außer mir nicht noch hunderttausend andere Dinge gab.
    Er kennt jeden Quadratzentimeter meiner Haut, jede Haarlänge und Farbe, die ich jemals hatte. Er kennt mich im Designeranzug, in Shorts, nackt auf einem Handtuch, mit wehendem Stoff im Windkanal oder in gespielter Aktion mit einem der dürren weiblichen Models. Im Grunde kennt er mich in- und auswendig. Sollte man meinen.
    Ich weiß es besser.
    Er kennt mich nicht.
    Er kennt nur das Model, nur die Hülle. Eins seiner liebsten Models, derjenige, der immer weiß, wie er in die Kamera lächeln muss, der sich stets richtig bewegt, der ihm gute Fotos garantiert. Ich weiß haargenau, wie er denkt, ich weiß, was er braucht, ich erfülle ihm all seine Fantasien, ohne dass er sie aussprechen muss.
    Meine Fantasien erfüllt er nicht.
    Dabei sind meine Nächte voll davon. Schon seit Jahren.
    Von Sehnsucht und geheimen Wünschen. Jede verdammte einsame Nacht in einem von hundert fremden Hotelzimmern. Seit ich ihn das erste Mal gesehen habe.
    Nur jene nicht, wenn ich mit einem anderen Mann zusammen bin. Dann kann ich seinen Blick vergessen, das Feuer darin, welches nicht für mich lodert. Momente im Schatten, Erfüllung der Lust und danach wieder diese Leere.
    Ich blinzle.
    Ein kühler Wind streicht mir über das Gesicht. Ich stehe noch immer auf der Straße. Entschlossen gehe ich los.
    Der nächste Job. Einer wie viele.
    Mein Herz beruhigt sich wieder. Irgendwann.
    Tut es immer.

    3 Aus den Schatten

    „Hello Joschi!“ Für Sekunden schaut er von seiner Kamera hoch, schenkt mir sein Lächeln. Die Freude ist ehrlich, doch gleich darauf ist er wieder in seiner Welt des Kamerafokus verschwunden.
    „Hallo Dirk, schön dich wiederzusehen.“ Ich murmle es in Deutsch, viel zu leise, aber er hört mich eh nicht mehr. Ich zehre von dem kurzen Blick auf sein Gesicht. Er hat sich einen echten Bart stehen lassen. Vor vier Wochen waren es noch verrucht aussehende Bartstoppeln, jetzt ist es ein kurzer Vollbart, der ihm zusammen mit den schulterlangen Haaren ein wenig schiffbrüchig aussehen lässt.
    Ich muss unwillkürlich grinsen. Das wäre es doch: wir beide nach einem Flugzeugabsturz alleine auf einer Insel. Wir würden uns gemeinsam eine Hütte bauen, jagen gehen, abends am Lagerfeuer sitzen und uns
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