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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel
Autoren: Brigitte Blobel
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von der fünften Klasse bis zur staatlich anerkannten mittleren Reife oder zum Abitur führt.« Dann Musik. So ein poppiger Song, in dem das Internatsleben glorifiziert wird. Dabei schwenkt die Kamera über die Nebengebäude hinweg, das Jungenhaus, das Mädchenhaus, die Sportanlagen. Man sieht eine Gruppe fröhlicher Radler,
eine andere Gruppe, die mit ihrem Lehrer unter einem großen Baum sitzt und arbeitet. Schüler, die sich für eine Theateraufführung schminken. Schüler, die mit Chemikalien allerhand Versuche machen, bei denen es dampft und zischt. Dann läuft die Schrift weiter: »Für den Erlenhof mit seinem hoch motivierten Team aus Lehrern und Erziehern steht neben dem Schwerpunkt einer fundierten Ausbildung zur Hochschulreife der Mensch im Vordergrund. Jeder Schüler hat eine Seele, die bei allem Streben nach Wissen nicht ins Hintertreffen geraten darf. Der Erlenhof wird seit fast fünfzig Jahren als staatlich anerkanntes Internat geführt. Dass unsere Einrichtung im internationalen und im nationalen Vergleich so gut abschneidet, verdanken wir jedoch auch unseren großzügigen Förderern und Ehemaligen, denen das Gedeihen der Schule immer noch am Herzen liegt...« Und so weiter und so weiter.
    Es gab Fotos vom Essraum, einem großen Saal. Vom Theater, das wie ein richtiges Theater aussah, vom Kinosaal, vom Physikraum, der modernen Turnhalle, den Sportanlagen draußen.
    Die Werbeseite war echt stark. Zum Abschluss gab es Bilder einer Sommerfete, die im Park gefeiert wurde. Eine Schulband spielte, ein DJ legte auf und in den Baumkronen schaukelten Lampions. Whow! Ich war so hin und weg, dass ich mich kaum davon lösen konnte. In der Nacht habe ich geträumt wie ein Weltmeister. Ich schwebte in einer anderen Stratosphäre. In einer Art Paradies für empfindliche Seelen und wissbegierige Schüler. Also genau richtig für mich.

MÄRZ
    Der Erlenhof liegt ein Stück entfernt von Wohlstorf, unserem Wohnort. Genau 6,5 Kilometer vom Ortsschild an gemessen, und es gibt, bis auf eine Ausnahme, keine öffentlichen Verkehrsmittel dorthin. Ich bin die Strecke mit dem Fahrrad am Wochenende abgefahren. Denn meine Mutter würde mich nicht bringen können, wegen ihrer Arbeit, sie musste schon sehr früh in den Supermarkt, an ihren Tresen...
    Ich kannte den Gebäudekomplex von Schule und Internat am Langen See. Die Anlage ruhte wie ein hochherrschaftlicher Gutshof, durch hohe Hecken vom Umland abgegrenzt, zwischen Wiesen und Äckern, in einer vollkommen ebenen Landschaft, die einen glauben machte, die Erde sei eine langsam rotierende Scheibe. Das Haupthaus lag etwas höher, mit einer breiten Freitreppe, vor der sich ein Park ausdehnte, mit Rasenflächen, Kieswegen, Rosenrabatten und riesige Rhododendren, die im Mai voller weißer und roter Blüten sein würden. An der Schule gab es (wie ich bald erfuhr) eine Arbeitsgruppe, die sich um den Park kümmerte. Freiwillige, zwei Nachmittage in der Woche.
    Wie fast immer hier im Norden ist das Meer nahe und ein Wind weht beständig über die Ebene und wie überall am Meer gibt es Möwen. Ihre Schreie hör ich gern. Lieber als das heisere Krächzen der Krähen, die auch überall sind.
Krähen sind hier im Sommer wie im Winter. Sie ziehen nie fort in wärmere Gegenden. Manchmal sieht man sie in den Baumkronen, zu Hunderten.
    Im Frühjahr und im Herbst, auf ihren langen Reisen, ziehen Schwärme von Wildgänsen über unser Land hinweg. Wenn ich früher ihre Flügelschläge hörte, war ich oft auf die Straße gelaufen, um mir die Formationen anzusehen, die immer wechselnden Muster, die sie an den Himmel malten. Im Altertum haben die Griechen aus den Flügen der Wildgänse die Zukunft gedeutet. Das fand ich schon immer spannend. Wenn ich unglücklich war, träumte ich davon, mit ihnen zu ziehen.
    Das Einzige, was die Idylle stört, ist der Lärm der Kampfjets, die vom nahe gelegenen Militärflughafen zu Übungsflügen aufsteigen. Wie blitzende Säbel zerschneiden sie die Luft, kündigen sich mit einem dunklen Brummen an, das sich dann steigert und wie ein Heulen wird, je näher sie kommen. Manchmal glaubt man, die Piloten in der Kanzel erkennen zu können, ihre Helme, die sie wie Mondwesen aussehen lassen.
    Die Jungen meiner alten Schule fanden die Kampfflieger »geil«. Mir machten diese Flieger dagegen Angst. Manchmal donnerten sie in nur hundert Metern Höhe über uns hinweg, obwohl mindestens zweihundert Meter vorgeschrieben waren. Danach gab es jedes Mal Proteste von der
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