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Böser Engel

Böser Engel

Titel: Böser Engel
Autoren: Timothy Carter
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tragen, dass sich derart unmoralisches Verhalten nicht wiederholt. Aus diesem Grund ist es dir ab sofort untersagt, die Schultoiletten aufzusuchen – es sei denn, du bist in Begleitung eines männlichen Lehrkörpers.«
    »Das ist ein Scherz, oder?«, platzte ich heraus. »Ich werde ganz sicher nicht in Gegenwart eines Lehrers die Hosen herunterlassen.«
    »Entweder du willigst ein«, sagte Mr. Raiser, »oder ich habe keine andere Wahl, als dich von der Schule zu werfen. Haben wir uns verstanden?«
    »Dagegen muss es doch ein Gesetz geben«, wehrte ich mich.
    »Haben wir uns verstanden?«, wiederholte er.
    »Ja, Sir«, antwortete ich. Was hätte ich sonst sagen sollen?
    »Deine Lehrer sind bereits in Kenntnis gesetzt worden«, erklärte Mr. Raiser mir. »Und diese Regelung gilt so lange, bis du dich wieder als tugendhaft und vertrauenswürdig erwiesen hast.«
     
    Der Weg vom Büro des Rektors zu meinem Spind zählt zu den demütigendsten Erfahrungen meines Lebens. Mittlerweile wimmelte es nur so von Schülern, und es schien, als wüssten alle Bescheid. Gespräche verstummten, sobald ich in Sichtweite kam, hinter meinem Rücken wurde getuschelt und gekichert, und egal, wohin ich sah, ich wurde wie ein Aussätziger angestarrt. Manche sahen mich voller Verachtung an, andere voller Abscheu. Die meisten schauten mich jedoch so an, als wäre ich eine wandelnde Witzfigur.
    Und dann war da noch die Sache mit meinem Spind. Im Grunde hätte ich wissen müssen, was mich erwarten würde. Abgesehen von den gezeichneten Phallussymbolen war hier und da »Wichser« in den Lack gekratzt worden. Ich seufzte. Als ich den Spind öffnete, fielen mir Hunderte von religiösen Traktaten entgegen, die offenbar in aller Eile verfasst und gedruckt worden waren. Ich war mir nicht sicher, ob sie durch den Luftschlitz gesteckt worden waren oder ob der Hausmeister die Zahlenkombination meines Schlosses verraten hatte. Bei genauer Betrachtung der Sachlage war Letzteres wahrscheinlicher.
    Einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken, blauzumachen, verwarf die Idee aber gleich wieder. Schließlich hatte ich schon genug Probleme am Hals. Ich schnappte mir die Bücher, die ich für den Unterricht brauchte, und verriegelte den Spind. Inständig hoffte ich, dass der Tag nicht so entsetzlich weitergehen würde, wie er angefangen hatte.
     

 
     
     
     
     
     

     
     
    Der Tag wurde nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Er wurde noch viel schlimmer. Egal, welches Fach ich hatte, die Blicke der Lehrer waren stets dieselben. Deutlich gaben sie mir zu verstehen, dass sie genau wussten, was ich getan hatte. Sie betrachteten mich so, als würde es sie anwidern, während die Situation sie zugleich köstlich amüsierte.
    Ich hielt so lange ein, wie ich konnte. Doch dann, mitten im Französischunterricht, hatte ich das Gefühl, meine Blase könnte jeden Augenblick platzen.
    »Ich muss mal«, sagte ich zu Mr. Boone, meinem Französischlehrer.
    »Verstehe«, antwortete er und erhob sich. »Alle mal herhören, bitte. Die Schulleitung hat entschieden, dass Stuart die Schultoiletten nicht mehr alleine aufsuchen darf. Er darf nur in Begleitung eines Lehrers gehen, um sicherzustellen, dass er nicht der Versuchung erliegt, sich mit sich selbst zu vergnügen. Wir sind in wenigen Minuten zurück.«
    Noch nie in meinem Leben habe ich eine Klasse so laut lachen gehört. Und Mr. Boone tat nichts, um sie zur Ruhe zu bringen. Vermutlich fand er, dass ich es verdient hatte.
    Zu dem Erlebnis auf der Jungentoilette möchte ich mich lieber nicht äußern. Nur so viel: Es ist eine ziemliche Herausforderung, der Natur ihren freien Lauf zu lassen, wenn jemand dabei aufmerksam zusieht.
    Als wir in den Klassenraum zurückkehrten, setzte Mr. Boone noch einen drauf. »Seid unbesorgt, Stuart ist rein geblieben«, sagte er. »Zumindest für den Moment.«
    Wenn Blicke töten könnten, hätte jeder meiner Mitschüler in Flammen gestanden.
    Biologie war nicht besser. Gleich zu Beginn der Stunde wollte Miss Bollaway von mir wissen, ob ich Harndrang verspürte. In dem Fall wollte sie gleich losgehen und einen männlichen Kollegen suchen, der mich begleitete. Die Klasse lag am Boden.
    Und auch der Sportunterricht entpuppte sich als Tortur. Noch mehr als sonst.
    »Hey, Stuie«, begrüßte mich Mr. Harker. »Was meinst du: Schaffst du es, mit deinen Gedanken so lange oberhalb der Gürtellinie zu bleiben, dass du was vom Unterricht mitbekommst?« Großes Gelächter. Im Grunde hatte ich
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