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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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ist sein Abgott und nicht nur der seine.
    Auf der psychologischen Ebene dreht sich alles um Nikolaj Stawrogin. Er ist die Projektionsfläche für die Sehnsüchte seiner ihn vergötternden Umgebung, und entsprechend erscheinen die Menschen um ihn herum als seine Geschöpfe. Doch seine »verrückten Einfälle«, die ihn mit dem Ruch der Geisteskrankheit versehen, erscheinen wie grausame psychologische Experimente eines Menschen, dessen Sozialisierung gescheitert ist, weil niemand ihm Grenzen zu setzen vermochte. Sein Vater ist tot, seine Mutter vergöttert ihn, sein Erzieher Stepan Trofimowitsch war keine Autorität, sondern hat den ungefestigten Jugendlichen als Vertrauten des Herzens missbraucht.
    In der Vorgeschichte und in der Handlungsgegenwart hat Nikolaj fast mit allen jungen Frauen ein Verhältnis: Das uneheliche Kind, das Schatows Frau Marie in den Armen ihres Mannes zur Welt bringt, kurz bevor dieser ermordet wird, ist ebenso von Nikolaj gezeugt wie das mutmaßliche Kind von Marja Lebjadkina (beide Kinder sind tot – Nikolaj kann weder lebensfähige Ideen noch lebensfähige Kinder zeugen).
    Die schöne Lisa hatte schon auf das Gerücht der Ehe Stawrogins mit Marja Lebjadkina hin unbewusst das Hinken ihrer »Nebenbuhlerin« imitiert und wird am Schluss nach einer Liebesnacht mit Stawrogin vom Pöbel gesteinigt. Von den »fremden Sünden« Stawrogins mit Darja war schon die Rede. Am bedrückendsten ist die aus Zensurgründen zunächst gestrichene, erst nach dem Tod des Autors wieder eingefügte »Beichte Stawrogins« bei dem Mönch Tichon, einem der präfreudianischen Analytiker in Dostojewskijs Werk. Stawrogin berichtet darin minutiös, wie er ein zwölfjähriges Mädchen missbraucht und dann in den Selbstmord getrieben hat. Am Schluss bleibt dem seelisch verkrüppelten und bei aller Faszination, die er verbreitet, vollkommen leeren Stawrogin die »Krankenschwester« Darja, die alles verzeihen kann und die sich allem fügt, doch er zieht es vor, sich auf die gleiche Weise zu erhängen wie das von ihm missbrauchte kleine Mädchen – mit einem Seidenfaden.
    Psychologisch wie symbolisch wird Stawrogins Sündenfall in der Nacht offenbar, in der er Marja Lebjadkina besucht. Auf dem Hinweg begegnet er auf einer Brücke dem entlaufenen Sträfling Fedjka. Dieser, angestachelt vom ›Satan‹ Pjotr, der Stawrogin auf diese Weise unter seine Kontrolle bringen will, bietet ihm indirekt an, ihn von seinem Erpresser und von seiner Mesalliance zu befreien. Marja errät hellsichtig Stawrogins unbewussten Mordwunsch, und auf dem Rückweg wirft Nikolaj Fedja Geld hin, was dieser als Mordauftrag auslegt. In der Brandnacht nach dem ›Wohltätigkeitsball‹ werden die Geschwister Lebjadkin ermordet.
    Philosophisch betrachtet ist Stawrogin der Ausgangspunkt aller Ideen, die von den Figuren im Roman ausführlich und leidenschaftlich diskutiert werden. Er ist der Inspirator für seine ›Jünger‹, obgleich die Ideen für ihn nur Gedankenspiele waren. Pjotr Werchowenskij versucht die sozialrevolutionären Ideen zu verwirklichen, die Stawrogin ihm eingegeben hat. Schatow propagiert die heilige Mission Russlands. Der Theoretiker Schigaljew legt zu seinem eigenen Entsetzen, aber unter dem Gelächter seiner Zuhörer dar, dass man, wenn man von unbeschränkter Freiheit ausgeht, notwendig bei uneingeschränktem Despotismus endet. Kirillow propagiert eine Philosophie vom Wandel des Menschen zum Übermenschen durch die Tötung Gottes, die nicht durch seine Leugnung, sondern erst durch die Überwindung der Todesfurcht vollzogen werden kann. So wird er zum Selbstmörder aus abstrakt-philosophischer Überzeugung. Selbst Lebjadkin ist mit seinen Provokationen und seinem den Ehemann offen erniedrigenden Verhältnis mit Frau Wirginskaja ein Jünger Stawrogins.
    Charakteristisch für alle Ideologen im Roman ist aber, dass sie im verbissenen Verfolgen der Ideen ihren eigenen menschlichen Charakter und ihre Persönlichkeit verleugnen (nur Pjotr, die Verkörperung des Bösen, ist, was er ist). Der spiritualistisch religiöse Schatow ist bäuerlich-kräftig und stark behaart. Warwara Petrowna verleugnet im Namen der sozialen Kontrolle und der Selbstkontrolle ihre Menschlichkeit und Herzlichkeit. Erst am Sterbebett Stepan Trofimowitschs gibt sie diese Kontrolle auf. Am deutlichsten ist die Selbstverleugnung Kirillows. Der Propagandist des Nichts ist eigentlich voller Lebensfreude und Kinderliebe, er zeigt ein ausgeprägtes Sozialverhalten und in
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