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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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offenbar ihrer selbst nicht wert, zum anderen soll Darja eine Affäre mit Nikolaj gehabt haben, und die Ehe mit ihm scheint dazu bestimmt, »fremde Sünden« zu vertuschen. Dabei meinte Warwara in der sanfteren, fürsorglichen Darja »nur eine Krankenschwester« für den 50-jährigen Stepan gefunden zu haben, der langsam zu vergreisen scheint.
    Beim Tee nach der Sonntagsmesse soll dies besprochen werden. Stattdessen aber versammeln sich alle nur möglichen Figuren in Warwaras Salon, und die kritische Masse für einen Skandal ist erreicht. Stawrogin leugnet gegenüber seiner Mutter seine geheime Eheschließung mit der »schwachsinnigen«, hinkenden Marja Lebjadkina. Schatow ohrfeigt ihn dafür öffentlich. Marja kniet vor Nikolaj nieder, wie um ihn anzubeten. Die rätselhaft schöne, stolze »Amazone« Lisaweta Nikolajewna, die sich in Paris Nikolaj angenähert hatte, bekommt einen hysterischen Anfall. Marjas Bruder, der primitiv-dreiste, angebliche Hauptmann a.D. Lebjadkin, der Stawrogin mit seinem Wissen um dessen Ehe erpresst, rezitiert betrunken sein provokantes »Lied von der Küchenschabe«.
    Der zweite große gesellschaftliche Skandal der Romanhandlung wird vorbereitet durch die Konkurrenz zwischen Warwara Petrowna, die als Vertraute des ehemaligen, phlegmatisch-gutmütigen Gouverneurs heimliche Regentin der Kleinstadt gewesen ist, und der Frau des neuen Gouverneurs, Julija Michajlowna von Lembke, die alles organisieren, modern erscheinen und von ihren Mitmenschen hofiert werden möchte und ihren Mann, den trottelig-unfähigen Andrej Antonowitsch, unter dem Pantoffel hat. Der Konflikt der Regentinnen wird ausgetragen im sich überbietenden Anbiedern an die moderne, radikalisierte Jugend. Darum liefert man sich für die »gemeinsame« Organisation eines Wohltätigkeitsballs bedenkenlos dieser Jugend, d.h. der subversiven Gegenregie radikaler Kräfte, aus, mit der Folge, dass der Ball völlig aus den Fugen gerät und in Brandstiftung und Mord eskaliert. Dieser Ball ist der Showdown der Kleinstadtgesellschaft, der skandalöse Zusammenprall zwischen Honoratioren und Pöbel. Stepan Trofimowitsch, der auf der Bühne dieses Balls zum Schmerz seiner Freundin sein letztes und größtes gesellschaftliches Fiasko zu erleben scheint, ist am Ende der Einzige, der der Anbiederung widersteht. Er schleudert den ›jungen Wilden‹ sein liberal-bürgerliches Credo ins Gesicht, dem zufolge Shakespeare und Raffael unendlich viel mehr wert seien als die soziale Revolution.
    Sozialgeschichtlich wird in dem Roman der Generationswechsel zwischen den gemäßigten bürgerlichen Liberalen der 1860er und der immer radikaleren, sozialistisch und anarchistisch gesinnten Jugend der 1870er und 1880er Jahre vorgeführt. Stepan Trofimowitsch, der Prototyp eines halbintellektuellen 1860ers, trägt an der Radikalisierung und der Gewissenlosigkeit der Jugend als geistreich-liberaler Schwätzer – die jungen Zuhörer seines intellektuellen Zirkels hatten seinen intellektuellen Gedankenspielen eine platte, aber sehr direkte Botschaft entnommen – , aber auch als autoritätsloser Erzieher Nikolajs wie als schwacher und verantwortungsloser Vater seines Sohnes Pjotr eine große Mitschuld, die ihm aber erst auf seiner »letzten Reise« nach Chatovo, seiner Reise in den Tod, bewusst wird.
    Vorbild für die politische Intrige ist ein reales Ereignis: die Ermordung eines abtrünnigen Mitglieds einer anarchistisch-revolutionären Gruppe durch deren Anführer Nečaev im November 1869. Im Roman spielt sich Folgendes ab: Aus den Soireen bei Stepan Trofimowitsch entwickelt sich zunächst eine Keimzelle des Jugendprotests und dann eine durch den mit diabolischen Attributen ausgestatteten Pjotr Werchowenskij organisierte terroristische Zelle, die durch den Mord am abtrünnigen, weil zur Idee der göttlichen Mission Russlands und der Orthodoxie für die Welt konvertierten Schatow (Darjas Bruder) zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschmiedet werden soll. Kirillow, ein ›Selbstmörder aus philosophischer Überzeugung‹, übernimmt, weil ohnehin »alles egal ist«, vor seinem Freitod schriftlich die Verantwortung für den Mord an Schatow. Pjotrs Projekt scheitert – an der Nervenschwäche der am Mord Beteiligten wie auch an der Weigerung Nikolaj Stawrogins, sich, wie von Pjotr geplant, zum charismatischen Führer der Bewegung aufbauen zu lassen. Letzteres war mehr als nur Kalkül Pjotrs: Der schöne, intellektuelle und unberechenbare Nikolaj Stawrogin
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