Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist
Autoren: Laurie Hugh
Vom Netzwerk:
drehte sich zu mir, plötzlich sehr erbost.
    »Den Scheiß können Sie sich sparen.«
    »Ich wollte doch bloß sagen …«, sagte ich, war aber froh, daß sie mir über den Mund fuhr, denn ich wußte, ehrlich gesagt, nicht, was ich sagen wollte.
    »Ich hab’ gesagt, sparen Sie’s sich. Hier liegt ein Mann im Sterben.«
    Ich nickte schuldbewußt, und beide beugten wir uns über Rayner, als erwiesen wir ihm die letzte Ehre. Dann schien sie das Gesangbuch zuzuklappen und zum nächsten Punkt zu kommen. Ihre Schultern entspannten sich, und sie hielt mir das Glas hin.
    »Ich heiße Sarah«, sagte sie. »Holen Sie mir eine Cola?«
     
    Schließlich rief sie doch die Polizei, und die trudelte ein, als die Rettungsmannschaft den offenbar noch atmenden Rayner gerade auf eine Falttrage schaufelte. Sie summten und hmten, hoben Gegenstände vom Kaminsims hoch, besahen sich die Unterseite und machten durch die Bank den Eindruck, sie wären lieber sonstwo.
    Polizisten hören in der Regel nicht gern von neuen Fällen. Das hat nichts mit Faulheit zu tun, aber wie alle anderen Menschen fänden sie gern eine Bedeutung, Zusammenhänge in dem großen Chaos wahllosen Unglücks, in dem sie arbeiten. Wenn sie gerade einen Jugendlichen verfolgen, der Radkappen stibitzt hat, und sie werden zum Tatort eines Massenmords abberufen, dann können sie sich nicht beherrschen und schauen unterm Sofa nach, ob da nicht zufällig Radkappen herumliegen. Sie möchten etwas finden, das mit etwas zusammenhängt, was sie schon gesehen haben und was im Chaos Sinn stiftet. Denn dann können sie sich sagen, dies sei geschehen, weil das geschehen sei. Wenn sie nichts finden – wenn sie bloß wieder einen Haufen Zeugs vorfinden, über den sie Berichte schreiben und Akten anlegen müssen, die sie verlieren und ganz unten in einem Aktenschrank wiederfinden und erneut verlieren und am Ende unter unbekannt verbuchen –, dann sind sie, gelinde gesagt, enttäuscht.
    Von unserer Geschichte waren sie sogar besonders enttäuscht. Sarah und ich hatten ein uns glaubhaft erscheinendes Szenario einstudiert, und davon lieferten wir drei Vorstellungen vor Beamten in zunehmender Ranghöhe, zuletzt vor einem entsetzlich jungen Kommissar, der sich mit Namen Brock vorstellte.
    Brock saß auf dem Sofa, begutachtete ab und zu seine Fingernägel und nickte sich jugendlich durch die Geschichte des beherzten James Fincham, eines Freundes der Familie, der im Gästezimmer im ersten Stock geschlafen hatte. Er hörte Geräusche, schlich nach unten, um nachzusehen, böser Mann in Lederjacke und schwarzem Rollkragenpulli, nie im Leben gesehen, Kampf, Sturz, o mein Gott, Kopf aufgeschlagen. Sarah Woolf, geb. 29. August 1964, hört Kampflärm, kommt ins Erdgeschoß, sieht die Bescherung. Etwas zu trinken, Kommissar? Eine Tasse Tee? Ein Glas Hohes C?
    Ja, natürlich, der Schauplatz trug das Seine dazu bei. Hätten wir dieselbe Geschichte in einer Sozialwohnung in Deptford ausprobiert, hätten wir in Null Komma nichts auf dem Boden der Grünen Minna gelegen und durchtrainierte junge Männer mit kurzen Haaren gefragt, ob es ihnen was ausmachen würde, kurz die Stiefel von unseren Köpfen zu nehmen, während wir uns zurechtkuschelten. Aber im grünen, stuckverzierten Belgravia neigt die Polizei eher dazu, einem Glauben zu schenken. Wahrscheinlich ist das in den Kommunalsteuern inbegriffen.
    Während wir unsere Aussagen unterzeichneten, baten sie uns, keine Dummheiten anzustellen und etwa das Land zu verlassen, ohne vorher beim örtlichen Revier Bescheid zu sagen, und rieten uns ganz allgemein, uns bei jeder erdenklichen Gelegenheit als gute Bürger zu erweisen.
    Zwei Stunden, nachdem er versucht hatte, mir den Arm zu brechen, war von Rayner, Vorname unbekannt, nur noch ein säuerlicher Geruch übrig.
     
    Ich verließ das Haus und spürte beim Gehen, wie der Schmerz wieder ins Rampenlicht kroch. Ich zündete mir eine Zigarette an und rauchte mich zur Straßenecke, wo ich links in eine Gasse mit Kopfsteinpflaster abbog, an der einst Pferde gehalten worden waren. Heutzutage könnte es sich natürlich nur ein steinreiches Pferd noch leisten, dort zu wohnen, aber ein Hauch von Stallungen hing immer noch über der Gasse, und deswegen hatte ich es nur recht und billig gefunden, dort das Motorrad anzuzäumen. Mit einem Hafersack und etwas Stroh unter dem Hinterrad.
    Das Motorrad stand noch da, wo ich es verlassen hatte, was banal klingt, aber das ist es in unseren Tagen nicht mehr. Wenn man seine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher