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Bockmist

Bockmist

Titel: Bockmist
Autoren: Laurie Hugh
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natürlich längst auf den Trichter gekommen. Rayner hätte in schimmernde Seide schlüpfen und sich eine Orchidee hinter jedes Ohr klemmen können, und trotzdem hätten verschreckte Passanten ihm erst Geld gegeben und sich dann gefragt, ob sie ihm was schuldeten.
    Ich schuldete ihm zufälligerweise kein Geld. Rayner gehörte zu dem auserlesenen Völkchen, dem ich überhaupt nichts schuldig war, und wären wir uns etwas sympathischer gewesen, hätte ich ihm und seinesgleichen ein besonderes Krawattenmuster als Mitgliedsabzeichen vorgeschlagen. Vielleicht ein Motiv mit Wegelagerern.
    Aber, wie gesagt, wir waren uns nicht sonderlich sympathisch.
     
    Ein einarmiger Nahkampfausbilder namens Cliff (ich weiß, der Witz hat einen Bart: Ja, er lehrte Nahkampf mit bloßen Händen, obwohl er bloß eine hatte – manchmal ist das Leben eben so) hat mir mal erklärt, daß man sich Schmerz immer selbst zufügt. Andere tun dir etwas an – schlagen dich, stechen auf dich ein oder versuchen, dir den Arm zu brechen –, aber den Schmerz erschaffst du selbst. Deswegen, sagte Cliff, der mal vierzehn Tage in Japan verbracht hatte und sich seither bemüßigt fühlte, seinen wißbegierigen Schützlingen mit derlei Zinnober die Zeit zu stehlen, deswegen steht es jederzeit in deiner Macht, den Schmerz zum Verschwinden zu bringen. Drei Monate später wurde Cliff bei einer Kneipenschlägerei von einer 55-jährigen Witwe umgebracht, also werde ich wohl nicht mehr dazu kommen, die Sache klarzustellen.
    Schmerz ist ein Ereignis. Er stößt einem zu, und man lindert ihn mit allem, was man gerade auf Lager hat.
    Mein einziger Vorteil war, daß ich bislang noch keinen Mucks von mir gegeben hatte.
    Das hatte nichts mit Tapferkeit zu tun, wohlgemerkt, ich war einfach noch nicht dazu gekommen. Bis zu diesem Augenblick waren Rayner und ich in verschwitztem Männerschweigen gegen Wände und Möbel geknallt und hatten nur ab und zu gegrunzt, um dem anderen zu zeigen, daß wir noch bei der Sache waren. Aber jetzt, da mich noch maximal fünf Sekunden von der Ohnmacht oder einem Knochenbruch trennten, hielt ich den idealen Zeitpunkt für gekommen, eine neue Waffe anzuwenden. Und etwas anderes als Lärm fiel mir nicht ein.
    Also holte ich tief Luft, richtete mich auf, um sein Gesicht so nah wie möglich hinter mir zu haben, hielt kurz die Luft an und stieß dann das aus, was japanische Kampfsportler kiai nennen – Sie würden es wahrscheinlich als sehr lautes Gebrüll bezeichnen, und damit lägen Sie auch nicht so falsch –, einen Schrei von so blendender, schockierender »Was zum Teufel war denn das?«-Stärke, daß ich selbst Angst bekam.
    Auf Rayner hatte das so ziemlich den erwünschten Effekt, denn er glitt unwillkürlich zur Seite und lockerte ungefähr eine Zwölftelsekunde lang die Armumklammerung. Ich stieß ihm den Kopf mit aller Kraft ins Gesicht, spürte, wie sich die Knorpel seiner Nase der Form meines Hinterkopfs anpaßten und samtige Nässe sich über meine Kopfhaut ausbreitete, dann lupfte ich meinen Absatz in Richtung seiner Leiste, schubberte innen am Schenkel hoch und vertiefte ihn in ein imposantes Genitalienpaket. Als die Zwölftelsekunde vorbei war, brach Rayner mir nicht mehr den Arm, und ich merkte plötzlich, daß ich schweißnaß war.
    Ich trat einen Schritt von ihm zurück, tänzelte auf den Zehenspitzen wie ein sehr alter Bernhardiner und sah mich nach einer Waffe um.
    Dieser Profi-Amateur-Kampf über eine Runde à fünfzehn Minuten wurde in einem kleinen, geschmacklos eingerichteten Wohnzimmer in Belgravia ausgetragen. Der Innenarchitekt (oder die Innenarchitektin) hatte vollendet scheußliche Arbeit geleistet, wie das alle Innenarchitekten tun, jedes einzelne Mal, durchweg und ausnahmslos – aber in diesem Fall traf sich seine oder ihre Vorliebe für schwere, bewegliche Objets d’art mit der meinen. Mit dem heilen Arm wählte ich einen fünfundvierzig Zentimeter großen Buddha vom Kaminsims und stellte fest, daß die Ohren des kleinen Burschen einen idealen Griff für einhändige Spieler boten.
    Rayner kniete inzwischen und kotzte einen chinesischen Teppich voll, dessen Farbe dadurch ungemein an Reiz gewann. Ich ging in Position, zielte, holte mit der Rückhand aus und plombierte ihm mit der Ecke des Buddhasockels die weiche Stelle hinter dem linken Ohr. Ein dumpfes, flaches Geräusch ertönte, wie es nur angegriffenes menschliches Gewebe von sich gibt, und Rayner fiel auf die Seite.
    Ich überzeugte mich nicht groß, ob
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