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Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Titel: Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
Autoren: Hermann Hesse
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Gesellschaftsstruktur des Florentiner Trecento.
    Anläßlich seiner lebendigen Darstellung des Lebens und der Kultur von Florenz zur Entstehungszeit des Dekameron schildert Hesse besonders eindrucksvoll die weltgewandte Geschäftsund Geldbourgeoisie der Florentiner mit ihren universalen Handelsbeziehungen. Stil und Ton des Dekameron nacheifernd, charakterisiert er den Vater des Dichters, den Bankkaufmann Boccaccino di Chellino, als zwar feißigen und versierten Geschäftsmann, aber auch geldgierigen und leichtfertigen Menschen, was er durch dessen Liaison mit einer jungen Witwe, die nicht ohne Folgen blieb, zu rechtfertigen sucht. Wichtig erscheint Hesse in diesem Zusammenhang auch das Milieu am neapolitanischen Hof der Anjou mit seiner kultivierten aristokratischen Gesellschaft, die für Boccaccios Entwicklung von tiefgreifender Bedeutung war. In dem Kontrast zwischen dem monarchischen Neapel und dem krisengeschüttelten Florenz erblickt Hesse den Nährboden für die Genese des Dekameron. Dennoch ist er sich über das Wechselspiel von Illusion und Wirklichkeit in Boccaccios Novellen durchaus klar. 16 Widersprüche werden von ihm bewußt gesetzt, ohne in einer dominanten Ideologie aufgehoben zu werden. So wechseln in dichter Folge tugendhaftes und lasterhaftes Leben, tragische und komische Ereignisse, hohe und niedrige Gegenstände, Spaß und bissige Zeitkritik, aristokratisches, bürgerliches und volkstümliches Personal. Wie sehr Hesse in den plaudernden Erzählton seines Protagonisten verfällt, zeigt auch die Schilderung über die erste Begegnung Boccaccios mit seiner späteren Geliebten Fiammetta. 17
    Mit gleicher Anteilnahme verfolgt er Boccaccio auf seinen weiteren Lebensstationen bis zu seinem Tod:

    »Für die nachfolgenden Jahrhunderte … ist er wieder der Geschichtenerzähler mit der Schelmenmiene geworden, und dem heutigen Geschlecht ist uns an einem einzigen Witz aus seinen Novellen mehr gelegen als an der ganzen Gelehrsamkeit und Ehrbarkeit seines ehrenvollen Alters.«

    Diese die Biographie abschließenden Worte zeigen, daß Hesse in Boccaccio fast ausschließlich den heiteren und zugleich leidenschaftlichen Dichter, Vater und Urheber der Novellistik sehen möchte, den mit der brillanten forentinischen Sprache und dem witzigen Geist geborenen Florentiner, den Schöpfer des Dekameron, den selbst noch als rüstigen alten Mann in Jugendsünden und Leidenschaften verstrickten Vagabunden und ironischen Kritiker.
    Es war Hesse durchaus bekannt, daß zahlreiche Themen Boccaccios wie laszive Ausschweifungen, Parodien auf das asketische Leben oder die Kritik am Klerus typische Stoffe mittelalterlicher Schwankliteratur sind.
    Es ist nur allzu verständlich, daß Boccaccios um 1365 verfaßtes Erzählwerk Corbaccio, eine Schmährede gegen die Frauen, Hesses bedingungslose Kritik provozierte, zumal er das Werk biographisch deutete als Distanzierung des mittlerweile vorwiegend humanistisch arbeitenden Boccaccio auch im Hinblick auf eine zunehmend religiös-moralistische Orientierung des Autors. Hier sieht Hesse die häßlichen Seiten der Liebe nach dem Schema der reprobatio amoris in schroffem Kontrast zu den Diesseitsfreuden des Dekameron gebrandmarkt.
    Während Boccaccio als Autor des Dekameron für Hesse als Modell der italienischen Literaturprosa schlechthin gilt, registriert er die humanistischen Schriften des Vaters der europäischen Erzählliteratur nur peripher, ohne allerdings die Tragweite dieser Schriften für die Entwicklung der italienischen Renaissance auch nur im geringsten in Frage zu stellen. Hesse war sich bewußt, daß die Rezeption Boccaccios zweisträngig verlief, wie schon in der Renaissance seine humanistischen Schriften und die volkssprachliche Dichtung meistens getrennte Wege gingen.
    Der stofich-motivischen Vielfalt entspricht nach Hesse im Dekameron das breite Spektrum an Erzählstilen, von einer einfachen, alltagsnahen, jedoch niemals derben Sprache bis hin zu stilistisch und syntaktisch komplexen Ausdrucksformen. Ganz aus der Perspektive des Dichters würdigt Hesse Boccaccios erzählende Prosa des Volgare in ihrer unverwechselbaren Plastizität und poetischen Faszination:
    »Das mächtige Werkzeug, das vor allem die Verschmelzung und Neugestaltung alter Schätze möglich machte, war Boccaccios Sprache. Sein umfangreiches Werk redet von der Vorrede bis zum letzten Satz der hundertsten Novelle dieselbe lebendige, elegante, biegsame, frische Sprache, deren Zauber jeden Leser entzückt und
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