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Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.

Titel: Boccaccio. Der Dichter Des Dekameron.
Autoren: Hermann Hesse
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    Seine erste nachhaltige Begegnung mit der italienischen Renaissance verdankt Hesse als junger Buchhandelsgehilfe in Tübingen den autodidaktischen Goethe-Studien und der Bekanntschaft mit dem Hauptwerk Die Kultur der Renaissance des Schweizer Kulturhistorikers Jacob Burckhardt im Jahre 1898. 4 Entscheidende Impulse erfuhr Hesses Beschäftigung mit der italienischen Renaissance ab 1899 in Basel unter dem Einfuß des italophilen Archivars und Historikers Rudolf Wackernagel, des Historikers Karl Joel und des Kunsthistorikers Heinrich Wölfflin. Seitdem widmete Hesse sich Leonardo da Vinci, sammelte Reproduktionen von Gemälden sowie Architekturdenkmälern der Renaissance, las Dante, Petrarca, Ariost, die Novellen von Boccaccio, Sacchetti, Bandello und Firenzuola und verfaßte nach dem Vorbild der italienischen Novelle selbst italianisierende Erzählungen. Als Hesse 1929 als Resümee seiner langjährigen Lese-Erlebnisse und Lese-Erfahrungen unter dem Titel Eine Bibliothek der Weltliteratur ein ganz persönliches Bekenntnis zur klassischen Weltliteratur ablegt, mißt er in diesem Literaturkanon dem Studium der altitalienischen Literatur zur Verwirklichung universaler Bildung wesentliche Bedeutung bei. Daß Boccaccio, der inzwischen zu Hesses Lieblingsautoren geworden war, nicht fehlt, versteht sich von selbst, zumal Hesse während seiner literarischen Anfänge, als er noch im Stadium eines sentiment premature die Kraft seines künstlerischen Naturells à la Boccaccio unter Beweis stellt, sich schon als Achtzehnjähriger magisch zu dem italienischen Novellendichter hingezogen fühlt. 8
    In der Bibliothek der Weltliteratur gilt Boccaccio unübertrefich als erste Koryphäe der europäischen Erzählkunst:

    »Diese berühmte, bei Prüden um ihrer Derbheiten willen berüchtigte Novellensammlung [Dekameron], ist das erste große Meisterwerk europäischer Erzählkunst, in einem wunderbar lebendigen Altitalienisch geschrieben und viele Male in alle Kultursprachen übersetzt …« 9

    Zukunftweisend nimmt Hesse damit schon das Urteil des Boccaccio-Forschers Vittore Branca 10 vorweg, daß Boccaccios Hauptwerk der Rang des ersten literarischen Vorbilds für zahlreiche zyklisch strukturierte Novellensammlungen zukommt. Noch 1904 kündigt Hesse aus seiner Feder eine Monographie über Boccaccio an, die schon im Mai desselben Jahres als Band VII der Reihe Die Dichtung im Verlag Schuster und Loefer erscheint. 12 Diese Monographie, die der sechsundzwanzigjährige Hesse in vier Wochen niederschrieb, enthält neben einer Biographie des italienischen Novellisten in der pikanten Manier der Erzählweise seines Protagonisten Boccaccio eine eingehende, poetisch anmutende Analyse und Würdigung des Dekameron, ein von der Hesse- sowie Boccaccio-Forschung bislang kaum beachtetes Zeugnis zum Nachleben Boccaccios in der deutschen Literatur und Geistesgeschichte. Es ist ein bemer kenswertes Beispiel dafür, mit welch kongenialem sensiblen Einfühlungsvermögen in den Geist der italienischen Renaissance ein Autor des zwanzigsten Jahrhunderts das Wesen von Boccaccios Erzählkunst zu erschließen vermag.
    Schon die Einleitung zu seiner Boccaccio-Monographie, die in der Art einer Captatio benevolentiae mit ›höfscher‹ Galanterie besonders dem weiblichen Leserpublikum die Lektüre des Dekameron zur Belehrung und Kurzweil nahelegt, macht evident, wie sehr Hesse sich darum bemüht, den Leser und sich selbst in die Zeit Boccaccios zurückzuversetzen. Unverkennbar sind deshalb im Inhalt und Wortlaut seiner Einleitung die Assoziationen zum Prooemium des Dekameron.
    Indem Hesse bereits in der Einleitung skizzenhaft die stofflich-motivische Vielfalt des Dekameron anspricht, provoziert er zwangsläufg Neugierde und Empfänglichkeit des Leserpublikums. Zugleich akzentuiert er dessen erzieherischen Wert am Beispiel der horazischen poetologischen Maxime des »prodesse et delectare« 13 , wenngleich er diese Maxime auch nicht expressis verbis erwähnt. Jedenfalls sieht er diese ambivalente Wirkung in Boccaccios Novellistik realisiert. 14
    Hesses Boccaccio-Biographie ist nicht bloß ein Resümee der äußeren Lebensdaten; er versucht auch, den Dichter in seinem Zeitkolorit zu sehen, in seiner nationalen, sozialen und kulturhistorischen Umwelt. So führt er Boccaccios Dekameron auf eine bestimmte gesellschaftsgeschichtliche Situation zurück und kennzeichnet, wie später Francesco De Sanctis 15 , die Zusammenhänge zwischen dem Dekameron und der
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