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Blutstern

Blutstern

Titel: Blutstern
Autoren: Dieter Woelm
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unauffällig die Hand.
    Die Trauergemeinde war klein. Thomas selbst hatte keine Verwandtschaft. Einzig die alte Maria Beletto war gekommen, seine ›Oma‹. Zumindest nannte er sie so. Seit er denken konnte, war sie da gewesen, von seinen ersten Kindertagen an. Auch wenn er den Grund nicht kannte, sie war für seine Mutter eine Art Familienersatz in Aschaffenburg gewesen, nachdem ihre eigenen Eltern sehr früh verstorben waren.
    Â»Schön, dass Sie gekommen sind«, begrüßte Thomas Drucker den Vater von Sabine. Er freute sich aufrichtig über dessen Anteilnahme, nachdem das Verhältnis zu Sabines Eltern immer noch angespannt war. Bernhard Flieger war 65, groß und schlank, hatte volle graue Haare, sah für sein Alter sehr gut aus und wirkte in seinem schwarzen Wintermantel wie ein offizieller Vertreter der Firma Flieger-Moden auf der Trauerfeier. Er drückte seiner Tochter einen scheuen Kuss auf die Wange und stellte sich neben sie. Maria Beletto trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite. Fast schien es so, als ob sie sich vor diesem vornehmen Herrn fürchtete.
    Anschließend begrüßten einige ehemalige Studienfreunde Thomas, danach erschien seine Sekretärin, Stefanie Bauer. Sie war deutlich älter als er und bereits seit einigen Jahren in der Firma beschäftigt. Er konnte sich auf sie verlassen. Er hatte sie als Sekretärin von Bernhard Flieger übernommen, der sie loswerden wollte, um eine jüngere bei sich einzustellen. Sie sah gut aus, war aber mit den Jahren kräftiger geworden. Als sie ihm ihr Beileid aussprach, merkte er, dass sie es wirklich aufrichtig meinte. Sie fuhr sich mit einem Taschentuch über ihre feuchten Augen.
    Â»Einfach unbegreiflich für mich«, sagte sie leise und stellte sich zu den Trauernden neben den Sarg.
    Einige Unbekannte stießen zur Trauergemeinde, wahrscheinlich Schaulustige, die von dem Mord im Pompejanum in der Zeitung gelesen hatten. Von Anfang an waren Kommissar Rotfux und seine Leute in der Nähe und beobachteten aufmerksam das Geschehen. Als die Glocken bereits läuteten, eilten Alexander Leitner und sein Vater über den breiten Zugangsweg auf die Aussegnungshalle zu. Sabine stieß Thomas Drucker in die Seite.
    Â»Sieh mal, wer da kommt«, flüsterte sie.
    Â»Ja, unglaublich.«
    Mit allem hätte er gerechnet, nur damit nicht. Er erinnerte sich an die Schlägerei mit Alexander, als sie sich wegen Sabine geprügelt hatten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ausgerechnet Alexander ihm aufrichtig sein Beileid aussprechen wollte. Wahrscheinlich sollte das Ganze eine Provokation sein. Vielleicht wollte er sich an seinem Schmerz erfreuen oder sich wieder an Sabine heranschleichen.
    Â 
    Nachdem der Priester mit der Predigt begonnen hatte, wurde der Wind heftiger und blies die Schneeflocken zwischen den beiden Säulen der offenen Aussegnungshalle hindurch bis zum Sarg. Die roten Rosen wurden mit einem weißen Flaum überzogen, die Trauergäste schlugen ihre Mantelkragen hoch und der Priester sprach lauter, um gegen den Wind anzukommen. Thomas Drucker konnte sich nicht mehr konzentrieren, er hörte nur einzelne Wortfetzen der Predigt und der Gebete.
    Â»â€¦ wie auch wir vergeben unseren Schuldigern … «, sagte der Priester.
    Niemals werde ich vergeben, dachte Thomas Drucker.
    Â»â€¦ sondern erlöse uns von dem Bösen … «
    Ja, erlöse uns, erlöse uns, dachte Thomas Drucker und fixierte mit seinem Blick diesen Alexander Leitner, der ihm gegenüber stand und seine Augen nicht von Sabine lassen konnte.
    Nach dem letzten Gebet hoben die Friedhofsdiener den Sarg auf einen fahrbaren Wagen und schoben ihn zur vorgesehenen Grabstätte. Der Priester schritt direkt dahinter, es folgten Sabine und Thomas, daneben Maria Beletto, danach die restliche Trauergemeinde. Sie gingen am Kriegerdenkmal vorbei, durch die endlose Reihe der Grabsteine für die gefallenen Soldaten, welche Schneehäubchen trugen. Die Äste der Trauerbirken schwankten im Wind, als wollten sie die weiße Decke abschütteln, die auf ihnen lag. Am Ende der breiten Allee bog der Trauerzug nach links ab, hinein in einen schmaleren Weg, wo unter einer kräftigen Buche das frisch ausgehobene Grab lag. Kalt und abweisend glotzte sie das dunkle Loch an, dessen Ränder mit Schnee überzuckert waren. Die Friedhofsdiener ließen den Sarg in die Tiefe. Er schwankte bedrohlich und schlug
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