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Blutstern

Blutstern

Titel: Blutstern
Autoren: Dieter Woelm
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abzulenken.
    Â»Aber es ist erst fünf.«
    Â»Schon, doch bis wir zurück sind? Es ist noch ziemlich weit.«
    Â»So weit nun auch wieder nicht. Wir können von Wertheim über die Autobahn zurück. Das geht schnell.«
    Er hatte sich aufgesetzt und sie fühlte sich augenblicklich erleichtert. Jetzt noch nicht, dachte sie, irgendwann sicher, doch jetzt noch nicht.
    Nach einem köstlichen Abendessen in Wertheim, zu dem sie sich überreden ließ, kehrten sie spät am Abend nach Aschaffenburg zurück.
    Â»Ich muss dir unbedingt noch etwas zeigen«, flüsterte er. »Ein kleines Geheimnis sozusagen.«
    Â»Was meinst du damit?«
    Â»Lass dich überraschen. Zu einer Fahrt ins Blaue gehört eine Abschlussüberraschung.«
    Sie fand seine Geheimnistuerei seltsam, doch sie wehrte sich nicht, sondern fuhr mit ihm in Aschaffenburg die Ludwigsallee hinauf zum Godelsberg, wo er am Rande der Obstbaumwiesen das Auto abstellte.
    Â»Komm, wir machen einen kleinen Verdauungsspaziergang. Das kann nie schaden«, sagte er und zog sie zwischen den Obstbäumen hindurch in den Wald.
    Es war halb zwölf in der Nacht. Ilona fühlte sich unwohl.
    Â»Wollen wir nicht lieber nach Hause? Nicht dass noch etwas passiert.«
    Â»Ach, was soll passieren«, lachte er, »ich bin ja bei dir.«
    Der Weg führte durch den Wald bergauf. Unter ihren Füßen raschelten die Blätter der Buchen, deren schwarz-graue Stämme sich in den Nachthimmel reckten. Holunderbüsche wuchsen am Wegrand. Sie wirkten bei Nacht wie eine undurchdringliche schwarze Wand, der man nicht ausweichen konnte. Ilona wurde es unheimlich.
    Â»Was, um Himmels willen, willst du mir denn hier mitten in der Nacht zeigen?«
    Â»Eher um Teufels willen«, lachte er, »das wirst du bald sehen.«
    Ilona war leicht außer Atem. Sie fühlte sich schläfrig vom Rotwein, den sie beim Abendessen getrunken hatte, und verspürte wenig Lust, mit ihm durch den Wald zu gehen.
    Â»Lass uns umkehren. Ich habe Angst«, sagte sie.
    Â»Wir sind gleich da. Nur noch ein kurzes Stück.«
    Ein schmaler Weg zweigte nach links vom Hauptweg ab und führte leicht bergab.
    Â»Sieh, da drüben«, sagte er.
    Schemenhaft konnte sie durch die Bäume die Felsblöcke erkennen, die im Mondlicht gräulich schimmerten. Die Teufelskanzel, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Er wollte mit ihr zur Teufelskanzel, diesem Aschaffenburger Aussichtspunkt, bei dem angeblich der Teufel höchstpersönlich riesige Felsbrocken abgeworfen haben soll. Als Schulkind war sie hier gewesen, natürlich nicht um Mitternacht, sondern tagsüber während eines Wandertags.
    Â»Du willst mit mir zur Teufelskanzel?«, stammelte sie überrascht.
    Â»Klar, ist schön hier in der Nacht. Du wirst es gleich sehen.«
    Er schien ganz begeistert zu sein, zog sie mit sich fort, zwischen mächtigen Buchen und Eichen hindurch, dann die sechs Stufen hinauf auf die Aussichtsplattform, deren Metallgeländer sich gegen den Nachthimmel abzeichnete. Sie schauderte. Von der Stiftskirche wehte der Klang der Glocken herüber, zwölf Mal, Mitternacht, Geisterstunde. Ilona war es unheimlich. Sie sah links Aschaffenburg in der Ebene liegen, rechts die Ausläufer von Goldbach.
    Â»Und, ist es nicht schön hier? Der Teufel hat sich eine besonders schöne Stelle ausgesucht.« Er umarmte Ilona und zog sie ganz dicht an sich. »Es soll Glück bringen, sich hier um Mitternacht zu küssen«, flüsterte er.
    Â»Ich find’ es unheimlich.«
    Â»Nun verdirb nicht alles. Genieß es einfach. Der Teufel weiß, was gut ist. Vertrau mir.«
    Er presste sie mit dem Rücken gegen das Metallgeländer der Teufelskanzel und nahm sich den Kuss, den sie ihm nicht geben wollte. Er küsste sie ganz wild. Sie schnappte nach Luft, Sterne tanzten vor ihren Augen. Das Geländer im Rücken bewahrte sie vor einem Sturz. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Wenn das keine Liebe war?
    Â»Jetzt bist du mein«, hörte sie ihn flüstern, »mein Gretchen für immer.«
    Â»Warum nennst du mich Gretchen?«
    Â»Ach nichts«, murmelte er, »das hat mit Goethe zu tun, mit Goethe und dem Teufel. Mach dir darüber keine Gedanken. Es ist nur eine Redensart von mir.«
    Ilona fand das seltsam, doch sie hatte das Gefühl ihn zu lieben, wie sie noch nie jemanden geliebt hatte. Also gab sie sich damit zufrieden und
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