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Blutskizzen

Titel: Blutskizzen
Autoren: Norbert Horst
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fühlt man sich mehr wie auf Koks.«
    Er lacht, bringt den Geruch von Rasierwasser mit.
    »Hast du wahrscheinlich schon gehört, wir haben ihn durch die Lappen gehen lassen, ganz schön blöd.«
    »Irgendwann läuft er uns über den Weg.« Er klingt wie ein alter Hase.
    »Was ich noch sagen wollte: Gute Arbeit, Oli. Wir waren in der Wohnung, in der er es gemacht hat. Sexualität war wirklich das Thema. Warum sind wir so lange von was Falschem ausgegangen?«
    Er zuckt mit den Schultern.
    »Keine Ahnung, Konni. Weißt du, mein Chef, der hat öfter einen Spruch drauf, wenn wir wie die Wilden Hypothesen bilden. Der sagt immer: ›Wenn wir die Blutspur eines Täters verfolgen und uns ein Bild von ihm machen, dann handelt es sich immer nur um Konturen, Skizzen. Die Wirklichkeit ist viel komplexer, bunter, viel größer. Das ist der Grund, weshalb wir uns irren können.‹«
    Er lächelt, gibt einen Schulterklaps.
    »Geh schlafen, Konni.«
    »Hast Recht, aber vorher muss ich noch was erledigen.«
    Im Büro kann das Fenster offen bleiben, Heizung aus. Noch den Computer abschalten. Im Flur fällt die Sonne schräg auf den Boden, es blendet.
    Edda kommt aus ihrem Büro, schließt ab.
    »Du bist ja noch da, Konni. Da war eben ein Anruf für dich, von einer Frau.«
    »Hat sie einen Namen gesagt.«
    »Ja, hab ich aber vergessen. Ich habe ihr gesagt, dass du nach Hause bist und erst mal schlafen musst.«
    Keine Ahnung.
    Welche Straßenbahn fährt denn am Krankenhaus vorbei? Müsste die 9er sein.

09 Uhr 05
    Irgendwo draußen auf dem Flur das Verkehrsfunkjingle von WDR II.
    Die beiden anderen Betten sind leer, die Sonne wirft auf seiner Decke kleine Schatten. Er atmet ruhig und tief. Im linken Handrücken steckt eine Nadel mit Schlauch, der Tropf steht daneben. Ein weißer Verband verdeckt die Glatze vollkommen, sein Jochbein ist blau, unter der Nase eine Borke.
    Die Tür geht auf, eine Schwester kommt rein, fängt an zu räumen.
    Sie grüßt mit freundlichem Blick.
    »Sind Sie der Vater?«
    »Der Vater? Nein, nein.«
    »Oder sonst ein Verantwortlicher?«
    »Verantwortlicher?«
    »Ja.« Sie lächelt, »Sie haben grad so ausgesehen.«
    »Nein. Ich..., ich wollte eigentlich nur sehen, wie es ihm geht.«
    »Schon wieder ganz gut.« Sie macht nebenbei die anderen Betten. »Am Anfang hatten wir den Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma, hat sich zum Glück nicht bestätigt.«
    »Ja, zum Glück.«
    »Aber eine gehörige Gehirnerschütterung ist es schon noch. Darum ist er auch so ruhiggestellt und schläft viel.«
    Er atmet ohne ein Geräusch, sein Gesicht ist völlig faltenlos, die Lippen geschwungen. Unglaublich lange Wimpern hat der und dunkle Brauen. Hat wahrscheinlich auch dunkle Haare, wenn er mal wieder welche hat. Wirklich ein Mädchengesicht. Dass man das übersehen konnte.
    Mach’s gut, Junge.
    »Ich geh dann mal.«
    »Soll ich ihm was bestellen, wenn er wach wird? Dass Sie da waren?
    »Bestellen? Lassen Sie man, ich komme die Tage noch mal wieder.«
    »Er bleibt ja noch eine Zeit hier.« Sie behandelt das Bett, als wenn sie jemanden zusammenschlagen würde.
    Draußen schiebt eine kleine Asiatin einen riesigen Wagen mit Essenstabletts über den Flur, verschwindet völlig dahinter.

10 Uhr 01
    Die Straßenbahn hält, die Tür öffnet sich mit einem Zischen. Eine Vierstrahlige teilt den Himmel, klares Blau, im Rinnstein hat der Frost den schmutzigen Schneematsch glasiert. Der Atem ist immer noch durchsichtig weiß, die Kälte fasst an die Ohren.
    Vor der Tür ein dunkler Mantel mit grauen Haaren. Das ist doch..., das ist doch der Bruder von Siele. Er schellt, wartet, beim Näherkommen verwandelt Erkennen sein Gesicht, letzte Traurigkeit bleibt.
    »Guten Morgen, Herr Kirchenberg.«
    Er gibt die Rechte, den Handrücken nach oben. Er ist tot. Er ist tot. Um seine Augen ein dünner roter Rand.
    »Wann ist es passiert?«
    »Gestern Morgen, ganz leise, ganz ruhig, fast gelassen.«
    Die Hand drücken, besser nichts sagen. Er löst das Schweigen nach einigen Momenten.
    »Der Grund meines Hierseins ist aber einer seiner letzen Wünsche. Er wollte, dass ich Ihnen das hier gebe.«
    Er zieht eine Flasche aus seiner Baumwolltasche, reicht sie mit einem Gesicht wie aus Knete modelliert, dann noch einen Umschlag.
    »Wenn Sie den Brief lesen, seien Sie nicht verwundert, es ist meine Schrift. Er war schon zu schwach, er hat mir die Sätze diktiert, kurz nach Ihrem Besuch. Es war ihm noch wichtig.« Er geht, bleibt nach ein paar Schritten stehen,
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