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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder
Autoren: Sam Hayes
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eine halbe Stunde lang nackt herumstrampeln. Unser kleines Schätzchen soll doch nicht wund werden! Es gibt übrigens nichts Gesünderes für Babys als ein Mittagsschläfchen im Freien, ob im Sommer oder Winter. Aber denk daran, ein Katzennetz über den Wagen zu spannen.« Was Säuglinge anging, war diese Frau ein Born des Wissens, der ungefragt alle möglichen Tipps hervorsprudelte.
    »Sie dachten bloß, ob jemand … was?« Die Kassiererin lächelte mich an. »Sie wollten doch etwas sagen.«
    »Ach, nichts.« Ebenfalls lächelnd packte ich den Kuchen in eine Tragetasche. Dann verließ ich schleunigst diese Pappkulisse von Laden. Ich rannte durch den Schwall warmer Luft aus dem Gebläse am Eingang und über den kalten Parkplatz zu meinem Renault.
    Was war ich dumm! Eine verrückte, verantwortungslose, überspannte, nervöse junge Mutter. Wie konnte ich mir nur einbilden, dass mein Baby weg wäre? Offensichtlich hatten mir meine Sinne einen Streich gespielt. Die Gesundheitsberaterin hatte mich ja vor Schlafmangel gewarnt. Natasha war manchmal eine richtige kleine Zicke. Sie schrie jede Nacht durch und holte sich dafür ihren Schönheitsschlaf tagsüber. Mit diesem Spielchen hatte sie mich so weit gebracht, dass ich nicht mehr richtig sehen und auch nicht mehr vernünftig denken konnte. Ich hoffte bloß, dass ich auf Sheila und Don keinen allzu wirren Eindruck machen würde.
    Doch als ich zu meinem Wagen kam, war er leer.
    Jemand hatte Natasha entführt, da gab es keinen Zweifel.
    Ich pinkelte mir in die Hose und stieß einen verzweifelten Schrei aus. Dann sank ich ohnmächtig zu Boden.

    Liebe Natasha,
    als Du acht Wochen alt warst, hat man Dich mir weggenommen. Ich war so dumm, Dich im Auto zu lassen, als ich kurz einkaufen ging. Wir waren auf dem Weg zu Oma Sheila. Daddy wollte auch dorthin kommen und wir wollten mit Oma und Opa Kuchen essen. Ich habe nach Dir gesucht, aber nur Deinen kleinen Schuh auf der Straße gefunden. Dann kam die Polizei. Monatelang bemühten sie sich, Dich zu finden, überprüften alle vorbestraften Kriminellen und hängten Plakate auf und brachten einen Aufruf im Fernsehen. Doch dann hörten sie auf zu suchen. Sie legten Deine Akte auf den Stapel mit den hoffnungslosen Fällen, gaben mir Dein Schühchen zurück und sagten, sie würden weiterhin ihr Möglichstes tun.
    Du sollst wissen, Natasha, dass ich niemals aufgehört habe, Dich zu lieben. Und ich werde Dich immer lieben. Es gibt Tage, da glaube ich, dass Du am Leben und glücklich bist und bei einer netten Familie lebst, die Dich liebt wie ihr eigenes Kind. Sie ertragen Deine Wutanfälle und Deine Motorrad fahrenden Freunde und streiten sich mit Dir, weil Du Dir den Bauchnabel piercen lassen willst. An anderen Tagen jedoch trifft mich die Wahrheit mit solch schmerzhafter Wucht wie an dem Tag, als Du aus meinem Leben verschwandest.
    Ich trage mich, was Du in deiner letzten Sekunde gesehen hast. Hast Du Deinem Mörder ins Gesicht gestarrt, bevor er Dich erstickte? Hast Du ihn genauso lieb angesehen wie mich, wenn Du beim Stillen entspannt in meinen Armen lagst? War Dir ein friedlicher Hungertod vergönnt? Durftest Du sanft aus dem Leben gleiten oder hast du diese Welt nach nur acht Wochen mit Rachegelüsten im Herzen verlassen? Wo Du auch bist, ob tot oder lebendig, ich kann Dich spüren. Ich möchte Dich wiederhaben.
    Du bist ein ganz besonderes Mädchen, Natasha. Es tut mir so leid. Ich liebe Dich. Mummy

    Mir ist klar, dass ich sie heute nicht mehr finden werde – Grund genug, den Rest des Kochsherrys wegzuputzen. Danach bin ich so hinüber, dass ich meine Lieblings-Quizshow verpasse.

2
    R
    obert blickte zu seiner Frau hinüber, während sie auf die Ergebnisse warteten. Sie sollte ihn anschauen, damit er ihr aufmunternd zulächeln konnte! Ihre Nervosität war fast mit Händen zu greifen.
    Doch sie drehte sich nicht um, sondern hielt den Blick starr auf die Direktorin der Privatschule gerichtet. Steif und aufrecht saß Erin da, in ihrem grauen Flanellkostüm, das blonde Haar sorgfältig frisiert. Sie hielt die Hände krampfhaft im Schoß gefaltet und machte sich offensichtlich auf eine Enttäuschung gefasst.
    Während die Direktorin in den Unterlagen und Berichten blätterte, erlaubte sich Robert einen kurzen Blick auf Erins Beine. Sie hielt die Knie eng zusammengepresst, was bei einer Frau, die sich in Jeans und Stiefeln viel wohler fühlte, irgendwie gekünstelt wirkte. Er wusste, es war alles nur Show, um einen guten Eindruck auf
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