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Blutschnee

Blutschnee

Titel: Blutschnee
Autoren: C Box
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toter Wapitis. Sind Sie verrückt geworden?«
    »Mein Gott, Joe …«, flüsterte Gardiner, als erwachte er aus einem Schock. »Das hab ich nicht getan.«
    Joe musterte ihn. Gardiners Augen blickten durch Joe hindurch, und an seinem Hals zuckten winzige Muskeln. Obwohl es windstill war, entging Joe nicht, dass sein Atem nach Alkohol roch. »Was? Sind Sie wahnsinnig? Natürlich haben Sie das getan, Lamar«, sagte er und konnte kaum glauben, was hier geschah. »Ich habe die Schüsse gehört. Überall auf dem Boden liegen leere Patronenhülsen. Der Lauf Ihres Gewehrs ist so heiß, dass er dampft.«
    In aufdämmernder Erkenntnis schaute Gardiner auf die Patronenhülsen zu seinen Füßen und auf die toten und sterbenden Wapitis und stellte eine Verbindung zwischen beidem her.
    »Oh mein Gott«, stieß er gepresst hervor. »Ich kann es nicht glauben.«
    »Jetzt lassen Sie die Waffe fallen«, befahl Joe.
    Gardiner ließ das Gewehr los, als hätte es ihm einen elektrischen Schlag verpasst, und stolperte ein paar Schritte zurück. In seiner Miene mischten sich blanker Schrecken und unaussprechliche Traurigkeit.
    »Warum wollten Sie Ihr Gewehr mit Zigaretten laden?«
    Gardiner schüttelte langsam den Kopf, und Tränen traten in seine Augen. Mit zitternder Hand klopfte er auf die rechte Hemdtasche. »Patronen«, sagte er. Dann tastete er nach der linken Tasche. »Marlboros. Ich schätze, ich hab sie durcheinandergebracht. «
    Joe verzog das Gesicht. Zu sehen, wie Lamar Gardiner den Verstand verlor, machte ihm ganz und gar keine Freude. »Das schätze ich auch, Lamar.«
    »Sie werden mich doch nicht verhaften, oder?«, fragte Gardiner.
»Das wäre das Ende meiner Karriere. Und Carrie würde mich dann wahrscheinlich verlassen und meine Tochter mitnehmen.«
    Joe sicherte seine Beretta und senkte sie. Im Laufe der Jahre hatte er natürlich auch Menschen angezeigt, die er kannte, doch dieser Fall lag anders. Gardiner war ein Bürokrat, jemand, der an einem großen Eichenschreibtisch Vorschriften und Verordnungen für die Bewohner der Gegend formulierte. Er hatte das Gesetz nie gebrochen oder – soweit Joe wusste – auch nur gebeugt. Gardiner würde zwar seine Stelle verlieren, doch Joe kannte seine familiäre Situation nicht gut genug, um vorhersagen zu können, was Carrie Gardiner tun würde. Als karrierebewusster Bundesbeamter verdiente er – verglichen mit den meisten Einwohnern von Saddlestring – sehr gut. Vermutlich hatte er nicht mehr viele Jahre bis zum Ruhestand und all den Vergünstigungen, die die Pensionierung mit sich brachte.
    Das Wimmern des verwundeten Hirschkalbs ließ Joe wieder auf die Wiese blicken. Das Tier, das von einer Kugel am Rückgrat verletzt worden war, scharrte hektisch am Boden und versuchte, sich aufzurichten. Seine Hinterläufe waren wie die Schenkel eines Frosches im Gras gespreizt und gehorchten ihm nicht. Hinter ihm stieg Dampf aus den freiliegenden, geblähten Eingeweiden einer Hirschkuh auf, die einen Schuss in den Unterleib bekommen hatte.
    Joe sah Gardiner, dessen Blick sich noch immer im Ungefähren verlor, in die Augen. »Ich verhafte Sie wegen mindestens sechs Fällen von Wilderei, wofür Sie pro Tier eintausend Dollar Strafe zahlen müssen und vielleicht ins Gefängnis gehen werden, Lamar. Gut möglich, dass Sie außerdem Ihre Jagdausrüstung und all Ihre Jagdberechtigungen verlieren. Und vielleicht wird es noch andere Anklagepunkte geben. Im
Vergleich dazu, wie ich Jäger Ihrer Sorte sonst behandle, kommen Sie billig davon.«
    Gardiner brach in Tränen aus und sank mit einem Wehklagen auf die Knie, das Joe in der Seele frösteln ließ.
    In diesem Moment begann es zu schneien. Das Sperrfeuer hatte begonnen.

    Joe schritt mit seinem .270er-Gewehr und seiner Kamera bei starkem Schneefall die Wiese ab, tötete das Kalb mit einem Kopfschuss aus kürzester Entfernung und wandte sich dann den anderen verwundeten Tieren zu. Hinterher fotografierte er alle Kadaver. Lamar Gardiner, der inzwischen weinend in Joes Pick-up saß, hatte sieben Wapitis geschossen: zwei Bullen, drei Kühe und zwei Kälber.
    Joe hatte Gardiners Gewehr in die Metallkiste auf der Ladefläche seines Wagens geschlossen, die zum Verwahren von Beweisstücken diente, und ihm die Autoschlüssel abgenommen. Auf der Vorderbank des bronzenen Pick-ups fand sich eine halbe Flasche Tequila, und auf dem Wagenboden lagen einige leere Bierdosen. Das Führerhaus stank süßlich nach Agavenschnaps.
    Zwar hatte er schon Schlimmeres
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