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Blutsauger

Blutsauger

Titel: Blutsauger
Autoren: M Bomm
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fahle Licht der Straßenlampen und die Umgebung hob sich in allen Schwarz- und Grauschattierungen aus der Finsternis hervor. An den mehrstöckigen Wohngebäuden, die den Straßenverlauf säumten, waren nur wenige Fenster beleuchtet.
    Wenn er zu dieser späten Stunde zum Parkplatz ging, nahm er jede Möglichkeit wahr, den Weg abzukürzen. Weil sich weit und breit kein Fahrzeug näherte, benutzte er nicht den Zebrastreifen, der sich etwa 50 Meter entfernt an der nächsten Einmündung befand, sondern zwängte sich erneut durch eine Reihe geparkter Autos, um die Straße im schrägen Winkel zu überqueren. Bei einem flüchtigen Blick nach links glaubte er für einen kleinen Moment, jemand säße hinterm Steuer des übernächsten Wagens, der zur Reihe der geparkten Fahrzeuge gehörte. Es war eine kurze, beiläufige Beobachtung, der er keine Bedeutung beimaß. Seine Gedanken ließen ihm dafür auch keinen Spielraum. Sie hafteten wie ein böser Geist an ihm, der sich nicht abschütteln ließ. Zu keiner Zeit, zu keiner Sekunde. Sogar als er die Geburt eingeleitet hatte, war er nicht voll konzentriert gewesen. Eine gefährliche Situation, die ihn den Job kosten konnte. Noch jetzt überfiel ihn das schale Gefühl, leichtfertig etwas vermasselt haben zu können. Er musste aufpassen, verdammt aufpassen. Und zwar in jeder Beziehung.
    Gerade hatte er zwei Schritte auf der Fahrbahn getan, um sie im stumpfen Winkel hinüber zu jener Einmündung zu überqueren, wo sich der Parkplatz für die Klinikbediensteten befand, da wurde hinter ihm ein Motor gestartet. Also doch, durchzuckte es ihn, er war nicht allein unterwegs. Schon bemächtigten sich seiner wieder finstere Gedanken, die sich in einer wilden Spirale abwechslungsweise und völlig ungeordnet sowohl um die komplizierte Geburt als auch um die bevorstehenden Entscheidungen drehten und in ihm ein Gefühl der Leere und Hilflosigkeit aufsteigen ließen. Dies alles überfiel ihn im Bruchteil von Sekunden. Es schien, als sei das Erlebte der vergangenen Stunden und Tage in seinem Kopf zum Stillstand gekommen, wie ein Computer, auf dessen Festplatte alle schrecklichen Bilder vereint waren und sich nicht mehr entfernen ließen. Als sei alles gleichzeitig geschehen und eingefroren worden.
    Er versuchte, sich dagegen zu wehren, sich zu befreien, sich endlich aus dieser Dunkelheit zu retten. Doch seine Zukunft schien genauso finster und trostlos vor ihm zu liegen wie diese dunkle Straße, die sich weit vorn in einer Kurve verlor.
    Nur wenige Schritte war er vorwärts gekommen, wohingegen seine Gedanken Zeit und Raum durchquert hatten. Ein einziges Geräusch genügte, um ihn wieder in die Wirklichkeit zu befördern. Es war so laut und aufheulend, bedrohend und anschwellend, dass er für den winzigen Moment, eine Schrecksekunde, gar nicht in der Lage war zu reagieren. Und als ihm bewusst wurde, dass er mitten auf der Straße ging und soeben ein Auto auf ihn zukam, hatte er keine Chance mehr. Und obwohl er, in Panik geraten, vieles gleichzeitig versuchte, sich reflexartig umdrehte und flüchten wollte, konnte er den Scheinwerfern nicht entkommen. Gleich würde das Fahrzeug, das hinter ihm stark beschleunigt hatte, mit voller Wucht gegen seinen Körper prallen.

5
    Es war nicht nur die geradezu mediterrane Schwüle, die ihm den Schlaf raubte. Elmar Brugger hatte sich im Bett von einer Seite zur anderen gewälzt und war schließlich auf den Balkon gegangen. Über die Palmen, die sanft im Nachtwind rauschten, sah er zum Meer hinaus, in dem sich das kalte Licht des Mondes spiegelte. Zwischen der schwarzen Wasserfläche und dem Hotelgarten war die Dünenlandschaft in ein tiefes Dunkel gehüllt. Und ganz weit draußen ging das Meer nahtlos in den Sternenhimmel über.
    Drei Stockwerke unter Brugger funkelte das Wasser in den beleuchteten Poolbecken; am rechten strahlten die aufdringlich roten Zahlen einer digitalen Uhr. Es war kurz nach eins, Ortszeit – sie hinkte eine Stunde der mitteleuropäischen Zeit hinterher.
    Brugger, der in T-Shirt und Boxershorts an der Balustrade lehnte und sich dank der seitlich hochgezogenen Mauern von anderen Zimmern aus unbeobachtet fühlen konnte, war nach dem Gespräch mit seinem Freund viel zu aufgewühlt gewesen, um schlafen zu können. Wenn es stimmte, was er erfahren hatte, dann stand sehr viel auf dem Spiel – nicht nur ihre gemeinsame Firma, deren Hauptsitz sie erst vor Kurzem in dem neuen Gewerbegebiet beim Flughafen von Gran Canaria eingerichtet hatten,
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