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Blutrote Schwestern

Blutrote Schwestern

Titel: Blutrote Schwestern
Autoren: Jackson Pearce
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Gefühle machen mir beim letzten Wort einen Strich durch die Rechnung. In den Zorn hinein kriecht der Schmerz, und ich kann die kleinen Schluchzer nicht zurückhalten. Ich hasse das. Als gäbe es eine Grenze für meine Wut, und dann schlägt sie plötzlich in Schmerz um. Meiner Schwester passiert das nie – ihr Körper ist immer hart, unnachgiebig, perfekt trainiert und kontrolliert. Vermutlich kann sie gar nicht weinen. Ihr Körper würde es einfach nicht zulassen. Er ist es nicht gewohnt, schwach zu sein.
    »Ähm, wenn ich was hinzufügen dürfte«, sagt eine männliche Stimme. Die Fahrerseite des Chevys öffnet sich quietschend, und Silas lehnt sich heraus, das Gesicht immer noch von der Dunkelheit verborgen. »Ich habe ihr geholfen. Ich sag’s nur. Falls es dir dann besser geht … sie hat Hilfe gebraucht. Das wird ihr eine Lehre sein.« In seiner Stimme liegt eine Spur von Schalk, und ohne dass ich es will, schmilzt mein Zorn ein ganz klein wenig und verraucht.
    »Danke, Silas«, murrt Scarlett. »Kannst du bitte meine Sachen unter dem Sitz rausholen?«
    Sie weicht mir seitlich aus und öffnet die Eingangstür. Für einen kurzen Augenblick erfüllt Licht den Hof und beleuchtet Silas’ Gesicht, ehe die Tür sich wieder schließt. Ich kneife die Augen zusammen, versuche sein Bild einzufangen, es mir einzuprägen. Silas sieht anders aus, als ich ihn in Erinnerung habe. Aber was genau hat sich verändert? Der Schwung seines Kinns oder seine Haarlänge oder etwas in seinen Augen? Waren sie immer schon so blaugrau? Ich kann nicht genau festmachen, was anders ist an seinem Gesicht, seinem Körper,
ihm.
    Oben knallt Scarletts Schlafzimmertür ins Schloss und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich verdrehe die Augen und humpele zurück zum Haus. Jetzt, da das Adrenalin verschwunden ist, schmerzt der scharfkantige Kies umso mehr.
    »Tja, Scarlett hat sich kaum verändert«, sagt Silas hinter mir.
    Ich nicke und zucke zusammen, als mir ein besonders scharfer Stein in die Hacke fährt.
    »Kann ich dir helfen, Rosie?«
    Seine Schritte hinter mir werden schneller, und noch ehe ich antworten kann, umfasst er mit seinen kräftigen Händen meine Hüfte. Aus Versehen stolpere ich rückwärts gegen seine Brust und atme den Geruch ein, der schon immer typisch für seine Familie war – Wald, feuchte Blätter und ein warmer Sommertag. Wenn dein Vater ein Waldarbeiter ist, trägst du den Eichenduft vermutlich im Blut. Allerdings bleibt mir nicht mehr Zeit als ein tiefer Atemzug, dann tritt Silas die Eingangstür auf, setzt mich auf der Veranda ab und geht einen Schritt zurück. Ich drehe mich um, um ihn anzusehen. Eigentlich möchte ich ihm für die Hilfe danken und ihn im selben Atemzug schelten, dass er mich getragen hat wie ein kleines Kind. Stattdessen lächele ich. Silas – er ist es noch immer. Silas, der vor einem Jahr fortging, kaum älter als meine Schwester. Die Augen noch immer von einem lebendig funkelnden Blau, mit schwarzbraunem Haar in der Farbe von Pinienborke, breitschultrig, die Gesichtszüge im Vergleich zu dem muskulösen Körperbau ein wenig zu feingliedrig. Er ist immer noch da, aber es ist so, als hätte sich jemand Neues über den alten Silas gelegt. Jemand Älteres und Stärkeres, der mich nicht so ansieht, als wäre ich Scarletts kleine Schwester … jemand, der mir die Sinne raubt und mein Herz schneller schlagen lässt. Wie kann das sein?
    Beruhig dich. Das ist nur Silas. Irgendwie.
    »Du starrst mich an«, sagt er vorsichtig und wirkt beunruhigt.
    Ich schüttele den Kopf, murmele: »Oh. Ähm, ’tschuldigung.«
    Silas schiebt die Hände mit altvertrauter Geste in seine Hosentaschen. »Es ist nur eine Weile her, das ist alles.«
    Er nickt. »Auf jeden Fall. Du bist schwerer als früher.«
    Ich runzele die Stirn, meine Gesichtszüge versteinern.
    »Oh, nein, warte. So habe ich das nicht gemeint, einfach nur, dass du älter geworden bist. Warte, das hört sich auch nicht viel besser an.« Silas fährt sich mit einer Hand durchs Haar und flucht leise.
    »Nein, ich hab schon verstanden.« Grinsend befreie ich ihn vom Haken. Irgendwie lässt seine Nervosität meine Schüchternheit ein wenig schmelzen. »Hast du vielleicht Hunger?«
    »Bist du dir sicher, dass du und Lett nicht so was wie … Schwesternzeit braucht?« Er blickt vorsichtig die Treppe nach oben.
    »Nein«, antworte ich und gehe zurück in die Küche. »Um ehrlich zu sein, möchte ich im Moment nicht so was wie Schwesternzeit
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