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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose
Autoren: Margie Orford
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Wasser hortete. Sie schloss die Augen und vergegenwärtigte sich noch einmal die Luftaufnahme. Herausnehmen konnte sie die Karte nicht, sonst würde sie ihr der Wind aus den Händen reißen.

    Sie hatte den Eukalyptus vorhin schon gesehen, genau wie Oscar ihn gezeichnet hatte, ein dunkler hoher Wipfel vor der welligen, flachen Wüste. Sie hatte ihn gesehen, doch dann war er wieder verschwunden, demnach musste er sich hinter der Dünenkrause befinden, die sich während der letzten Überschwemmung gebildet hatte. Sie würde die Düne erklimmen und übersteigen müssen, in deren Schutz sie sich zurückgezogen hatte. In Richtung Osten. Wenigstens half ihr der Wind, sich zu orientieren: Sie musste sich den Walküren aus Sand entgegenstemmen, die kreischend an ihr vorbei in Richtung Ozean flogen. Ihre Kehle war ausgedörrt und rissig, und ihre Muskeln flehten sie an, endlich stehen zu bleiben. Einen Moment lang ließ der Wind nach. Eine absolute, ohrenbetäubende Stille setzte ein. Der Staub hing schwebend in der Luft und wartete auf die nächste Attacke.
    Janus Renko. Der fremde Name. Das vertraute harte Gesicht. Und nicht nur aus dem Blauen Engel. Die Saite, die es angeschlagen hatte, hallte selbst in diesem Chaos aus Sand und Wind nach. Die stille Küche. Clare sah sie verblüffend klar vor sich: die grauhaarige Frau, die auf ihren in der Wüste stehenden Mann zeigte. Der unbekannte Mann auf dem Foto, der, einen Arm um seinen Freund gelegt, aufrecht im Schatten stand. Dasselbe Gesicht, auf seine grausamen Grundzüge reduziert. Das halb leere Schiff. Die Zahlen: Zwei, Drei und Fünf. Ein Code für sie, in die Brustkörbe der jungen Männer eingeschrieben von Spyt, dem stillen Zeugen der Wüste. Die Fässer vollgeladen, nicht mit Fisch, der nur eine tarnende Deckschicht bildete, sondern mit einem todbringenden Schatz, geborgen von fünf Jungen, die Spyt beobachtet, gefunden und abgeliefert hatte.
    Zwei, drei, fünf. Ein klammheimlicher Tod, in Luft oder Wasser entfesselt, dem niemand entkommen konnte. Angereichertes Uran: Deutlich mehr als nur eine Altersabsicherung. Ein Vermögen für jeden, der skrupellos genug war, eine Massenvernichtungswaffe
an die drängelnde Kundschaft all jener zu verkaufen, die gewillt und in der Lage waren, eine schmutzige Bombe zu bauen. Daran durfte sie jetzt nicht denken. Nicht hier. Sie musste sich auf ein einziges Leben konzentrieren. Auf einen einzigen Tod.
    Sie war auf dem Kamm. Unten tanzte ein Irrwisch aus rotem Staub unter dem Joch des Windes. Ihr Herz pochte bei dem Gedanken, dass sie sich verirrt hatte, aber der Sturm war so wild, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich dem Baum entgegenzukämpfen, den sie vorhin gesehen hatte. Er bot den einzigen Schutz. Sie tauchte den Abhang der Düne hinunter in die vergleichsweise Stille der Sandgrube. Einen Moment lang schöpfte sie Kraft und versuchte sich von den Attacken des Windes zu erholen.
    Vor ihr lag eine kleine Erhebung, wo die Wüste Sand gegen etwas aufgehäuft hatte. Eine Zufluchtsstätte. Sie arbeitete sich weiter vor. Die Silhouette, der Umriss, das Leuchten der Farbe. Das Wiedererkennen schnürte ihr die Luft ab wie ein erstickter Schrei. Sie kroch voran und sackte an der Erhebung zusammen.
    Mara.
    Clare unterdrückte die heiß aufflammende Panik. Auf Augenhöhe mit Clare, mit erstarrter, noch mädchenhafter Miene und schon leeren Augenhöhlen. Die tödliche Kugel als Rose auf ihrer Stirn. Wunderschön, für einen Sekundenbruchteil. Dem Augenschein nach war Mara seit gut vierundzwanzig Stunden tot. Der Wind heulte über ihren achtlos liegen gelassenen Leichnam hinweg, über die ausgestreckten, schon unter dem Sand begrabenen Hände. Clare wischte die Insekten aus dem Mädchengesicht und rollte die tote Hand in ihren eigenen zusammen. Maras Jacke stand offen, hing lose über ihrem Leib, und darunter war das weiße T-Shirt zu sehen. Ein paar kurze Haarsträhnen klebten an den Blutflecken, die auf ihrem Ärmel getrocknet waren.

    Clare legte den Finger auf den Fleck. Er war noch feucht. Sie löste eine der blutverklebten Strähnen. Wo es nicht blutig war, leuchtete das Haar rötlich. Die Farbe der Dünen, unter denen Mara lag.
    Es konnten nur Haare von Oscar sein. Auf dem Sand war ein schwacher Abdruck zurückgeblieben, wo sich der Junge zusammengerollt und in die Mulde des toten, steif werdenden Mädchenkörpers geschmiegt hatte. Er war hierhergekrochen, hatte sich mühsam über die Dünen gearbeitet, um Schutz zu finden.
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