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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
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zu werden. Candice
schenkte ihm diese erfüllende Beziehung.
    Manche Abende verbrachte er mit Übungen. Seine
Füße schmerzten nicht mehr so sehr. Alles schien sich zum
Besseren zu wenden. Die Welt wurde ein angenehmerer Ort. Seine
Rückenschmerzen ließen allmählich nach.
Verblaßten aus dem Gedächtnis. Sie wurden nicht
vermißt.
    Vieles davon schrieb er Candice zu, geradeso wie unter den
Halbwüchsigen Gerüchte kursierten, die den Verlust der
Jungfräulichkeit mit dem Abklingen von Akne in Verbindung
brachten.
    Bisweilen wurde die Beziehung stürmisch. Candice fand ihn
unerträglich, wenn er versuchte, seine Arbeit zu erklären.
Er behandelte das Thema mit kaum verhohlenem Zorn und gab sich selten
die Mühe, komplizierte technische Zusammenhänge
vereinfachend darzustellen. Mehr als einmal war er nahe daran, ihr zu
gestehen, daß er sich die Lymphozyten injiziert hatte,
ließ es aber sein, als ihm klar wurde, daß sie sich
bereits gründlich langweilte. »Sag mir Bescheid, wenn du
ein billiges Heilmittel für Herpes findest«, sagte sie.
»Dann lassen wir uns von den streng moralischen christlichen
Vereinen dafür bezahlen, daß wir es nicht auf den Markt
bringen.«
    Während er sich nicht länger um Geschlechtskrankheiten
sorgte – Candice hatte sich in der Sache aufgeschlossen gezeigt
und ihn überzeugt, daß sie sauber war –, bekam er
eines Abends plötzlich einen Hautausschlag, eine
eigentümliche, juckende Fläche weißlicher Knoten auf
Brust und Bauch. Am Morgen war sie vergangen und kehrte nicht
wieder.
     
    Vergil lag im Bett, neben sich die leise atmende, halb vom Laken
verhüllte Gestalt, deren Hüften einem schneebedeckten
Hügel glichen und deren Rücken freilag, als trüge sie
ein verführerisch ausgeschnittenes Abendkleid. Sie waren vor
drei Stunden ins Bett gegangen, und er lag noch immer wach und
überlegte, daß er in den vergangenen zwei Wochen
öfter mit Candice geschlafen hatte als vordem mit allen anderen
Frauen in seinem Leben.
    Dies beschäftigte seine Phantasie. Er hatte sich immer
für Statistiken interessiert. In einem Experiment kündeten
Zahlen von Erfolg oder Mißerfolg, ebenso wie im
Geschäftsleben. Er begann jetzt zu fühlen, daß seine
»Affäre« (wie seltsam dieses Wort sich in seinem
Denken ausnahm!) mit Candice auf dem besten Wege zum Erfolg war.
Wiederholbarkeit war das Kennzeichen eines guten Experiments, und
dieses Experiment hatte…
    … Und so weiter, endlose nächtliche Grübeleien, die
um einiges weniger produktiv waren als traumloser Schlaf.
    Candice verblüffte ihn. Frauen hatten Vergil, der so wenig
Gelegenheit gehabt hatte, sie kennenzulernen, immer verblüfft;
aber er vermutete, daß Candice verblüffender sei als die
Norm. Er konnte sie nicht ergründen. Wenn sie jetzt miteinander
schliefen, ging die Initiative selten von ihr aus, aber sie nahm mit
hinreichendem Enthusiasmus daran teil. Er sah sie als eine Katze, die
nach einem neuen Nest suchte und sich, sobald sie es gefunden hatte,
schnurrend darin niederließ, ohne daran zu denken, was der
nächste Tag bringen mochte.
    Weder Vergils Leidenschaft noch seine Lebensweise ließen
diese Art von gesättigter Gleichgültigkeit zu.
    Es fiel ihm schwer, Candice als intellektuell tieferstehend zu
sehen. Bisweilen zeigte sie sich annehmbar geistreich und aufmerksam,
und dann war es lustig, mit ihr beisammen zu sein. Aber sie
beschäftigte sich nicht mit denselben Dingen wie er. Candice
glaubte an die Oberflächenwerte des Lebens –
Äußerlichkeiten, Rituale, was andere Leute dachten und
taten. Vergil hingegen kümmerte es wenig, was andere Leute
dachten, solange sie nicht aktiv in seine Pläne eingriffen.
    Candice akzeptierte und erfuhr. Vergil zündete und
beobachtete.
    Er beneidete sie. Wie sehr wünschte er sich eine Linderung
der ständig mahlenden Gedanken und Pläne und Sorgen, der
Verarbeitung von Information, um neue Einsichten zu gewinnen. Wie
Candice zu sein, wäre eine Erholung.
    Candice wiederum sah in ihm unzweifelhaft einen Anreger und
Beweger. Sie führte ihr eigenes Leben, mit wenigen Plänen,
ohne viel Nachdenken und ohne irgendwelche Skrupel…
Gewissensbisse waren ihr so fremd wie selbstkritische Betrachtungen.
Als es klargeworden war, daß dieser Anreger und Beweger
arbeitslos war und wenig Hoffnung hatte, bald wieder eine Anstellung
zu finden, war ihre Zuversicht davon seltsam unberührt
geblieben. Vielleicht hatte sie, wie eine Katze, wenig
Verständnis von diesen Dingen.
    So schlief sie,
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