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Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale
Autoren: Tess Gerritsen
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zu empfangen, blieb Maura auf ihrem Platz sitzen. Wenn man nicht an Gott glaubte, war es Heuchelei, die Hostie zu sich zu nehmen und vom Messwein zu trinken.
    Was tue ich dann eigentlich hier?
    Dennoch blieb sie bis zum Ende auf ihrem Platz sitzen, wartete den Schlusssegen und die Entlassung ab.
    »Gehet hin in Frieden!«
    »Dank sei Gott dem Herrn!«, antwortete die Gemeinde.
    Die Messe war beendet, und die Menschen begannen, zum Ausgang zu schlurfen, während sie ihre Mäntel zuknöpften und die Handschuhe anzogen. Auch Maura erhob sich und trat gerade in den Mittelgang, als sie aus dem Augenwinkel sah, wie Daniel sie auf sich aufmerksam zu machen versuchte, wie er sie mit stummen Gesten anflehte, nicht zu gehen. Sie setzte sich wieder, spürte die neugierigen Blicke der Leute, die an ihrer Bank vorbeikamen. Sie wusste, was sie sa hen, oder was sie zu sehen glaubten: eine einsame Frau, begierig nach den tröstenden Worten eines Geistlichen am Heiligen Abend.
    Oder sahen sie etwa mehr?
    Sie erwiderte die Blicke nicht. Während die Kirche sich leerte, blickte sie starr geradeaus, fixierte mit unbewegter Miene den Altar. Und dachte dabei: Es ist spät, und ich sollte nach Hause gehen. Ich weiß nicht, was es bringen soll, noch länger hierzubleiben.
    »Hallo, Maura.«
    Sie blickte auf und sah Daniel in die Augen. Die Kirche war noch immer nicht ganz leer. Die Organistin packte ihre Noten zusammen, und einige der Chorsänger zogen sich noch die Mäntel an, doch in diesem Moment war Daniels Aufmerksamkeit so auf Maura konzentriert, dass sie ebenso gut der einzige Mensch weit und breit hätte sein können.
    »Es ist lange her, dass Sie zuletzt hier waren«, sagte er.
    »Das stimmt wohl.«
    »Das letzte Mal war im August, nicht wahr?«
    Du hast es dir also auch gemerkt.
    Er setzte sich zu ihr auf die Bank. »Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen.«
    »Es ist schließlich Heiligabend.«
    »Aber Sie sind doch nicht gläubig.«
    »Trotzdem habe ich meine Freude an den Riten. An den Liedern.«
    »Das ist der einzige Grund, weshalb Sie gekommen sind? Um ein paar Weihnachtslieder zu singen? Um ein paar Mal Amen und Dank sei Gott dem Herrn zu sagen?«
    »Ich wollte ein wenig Musik hören. Und unter Menschen sein.«
    »Erzählen Sie mir nicht, dass Sie heute Abend ganz allein sind.«
    Sie zuckte mit den Schultern und lachte. »Sie kennen mich doch, Daniel. Ich bin nicht gerade der gesellige Typ.«
    »Ich dachte nur … Ich meine, ich hatte angenommen …«
    »Was?«
    »Dass Sie mit jemandem zusammen sein würden. Gerade heute Nacht.«
    Das bin ich auch. Ich bin mit dir zusammen.
    Sie verstummten beide, als die Organistin mit ihrer prall gefüllten Notentasche den Mittelgang herunterkam. »Gute Nacht, Pater Brophy.«
    »Gute Nacht, Mrs. Easton. Und vielen Dank, Sie haben wieder mal wunderbar gespielt!«
    »Es war mir ein Vergnügen.« Die Organistin warf Maura noch einen letzten prüfenden Blick zu und ging dann weiter in Richtung Ausgang. Sie hörten, wie die Tür zufiel, und dann waren sie endlich allein.
    »Also, warum hat es so lange gedauert?«, fragte er.
    »Nun ja, Sie wissen ja, wie das ist in unserer Branche - gestorben wird immer. Einer unserer Rechtsmediziner musste vor ein paar Wochen wegen einer Rückenoperation ins Krankenhaus, und wir mussten für ihn einspringen. Ich hatte alle Hände voll zu tun, das ist alles.«
    »Sie hätten trotzdem mal zum Hörer greifen und einfach anrufen können.«
    »Ja, ich weiß.« Das galt auch für ihn, aber getan hatte er es nie. Daniel Brophy würde nie auch nur einen Schritt vom rechten Pfad abweichen, und das war vielleicht auch ganz gut so - es genügte, dass sie selbst ständig gegen die Versuchung ankämpfen musste.
    »Und was hat sich bei Ihnen so getan?«, fragte sie.
    »Sie wissen, dass Pater Roy letzten Monat einen Schlaganfall hatte? Ich habe seine Aufgaben als Polizeigeistlicher übernommen.«
    »Detective Rizzoli hat es mir erzählt.«
    »Ich war vor einigen Wochen an diesem Tatort in Dorchester. Sie wissen schon - der Polizeibeamte, der erschossen wurde. Ich habe Sie dort gesehen.«
    »Ich habe Sie aber nicht gesehen. Sie hätten doch hallo sagen können.«
    »Na ja, Sie waren so beschäftigt. Voll konzentriert, wie üblich.« Er lächelte. »Sie können ganz schön grimmig dreinschauen, Maura. Wussten Sie das?«
    Sie lachte. »Vielleicht ist das mein Problem.«
    »Ihr Problem?«
    »Dass ich die Männer abschrecke.«
    »Mich haben Sie nicht abgeschreckt.«
    Wie könnte
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