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Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale
Autoren: Tess Gerritsen
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dar, als sie durch die offene Tür starrte. Es sah aus, als hätten übermütige Hände das ganze Zimmer mit leuchtend roten Luftschlangen übersät, die weißen Wände, die Möbel, die Bettwäsche.
    »Arterielles Blut«, sagte Rizzoli.
    Maura konnte nur stumm nicken, während ihr Blick den bogenförmigen Blutspritzern folgte, während sie die Horrorgeschichte las, die in Rot an diese Wände geschrieben war. Als Medizinstudentin im vierten Jahr hatte sie während ihrer Famulatur in der Notaufnahme einmal mit angesehen, wie das Opfer einer Schießerei auf dem OP-Tisch verblutet war. Als der Blutdruck des Patienten rapide gefallen war, hatte der Assistenzarzt der Chirurgie in seiner Verzweiflung eine Notfall-Laparotomie durchgeführt, in der Hoffnung, die inneren Blutungen stillen zu können. Er hatte den Bauch des Patienten aufgeschnitten, worauf eine Blutfontäne aus der zerrissenen Aorta geschossen war, die Kittel und Gesichter der Ärzte bespritzt hatte. In den letzten chaotischen Sekunden, wäh rend sie hektisch absaugten und sterile Tücher in die Bauch höhle stopften, war das Einzige, worauf Maura sich noch konzentrieren konnte, das viele Blut. Sein glänzender Schimmer, sein fleischartiger Geruch. Sie hatte in das offene Abdomen gegriffen, um einen Retraktor zu fassen, und die warme Flüssigkeit, die die Ärmel ihres Kittels tränkte, hatte sich angefühlt wie ein handwarmes Vollbad. An diesem Tag im OP hatte Maura gesehen, welch schockierende Blutfontänen selbst ein schwacher arterieller Druck auslösen konnte.
    Jetzt, als sie die Wände des Schlafzimmers betrachtete, war es wieder das Blut, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, das die Geschichte der letzten Sekunden im Leben des Opfers er
    zählte. Als der erste Schnitt geführt wurde, hat das Herz des Opfers noch geschlagen; es hat noch einen Blutdruck erzeugt.
    Dort über dem Bett war die erste Fontäne in hohem Bogen an die Wand gespritzt, wie aus einem Maschinengewehr abgefeuert. Nach einigen wenigen kräftigen Spritzern wurden die Ausschläge schwächer. Der Organismus hatte versucht, den fallenden Druck auszugleichen; die Arterien hatten sich verengt, die Pulsfrequenz zugenommen. Doch mit jedem Herzschlag laugte der Körper sich selbst noch weiter aus, beschleunigte sein eigenes Ende. Wenn dann am Ende der Druck ganz abfiel und das Herz stillstand, spritzte das Blut nicht mehr aus den Wunden, sondern versiegte zu einem schwachen Rinnsal. Dies war der Tod, den Maura an diesen Wänden, auf diesem Bett dokumentiert sah.
    Dann hielt sie inne, und ihr Blick blieb an einem Detail haften, das sie inmitten all der Blutspritzer zunächst übersehen hatte. Ein Detail, bei dessen Anblick die feinen Härchen in ihrem Nacken sich schlagartig aufrichteten. An eine Wand waren mit Blut drei Kreuze gemalt, die auf dem Kopf standen. Und darunter eine Reihe kryptischer Symbole.

    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Maura leise.
    »Wir haben keine Ahnung. Wir haben uns auch schon den Kopf darüber zerbrochen.«
    Maura konnte den Blick nicht von dem Schriftzug wenden. Sie schluckte. »Verdammt, womit haben wir es hier eigentlich zu tun?«
    »Wart nur ab, bis du den Rest gesehen hast.« Jane ging um das Bett herum und deutete auf den Boden. »Das Opfer liegt hier. Jedenfalls der größte Teil von ihm.«
    Erst als Maura Jane auf die andere Seite des Bettes folgte, konnte sie die Frau sehen. Sie war nackt und lag auf dem Rücken. Durch das Ausbluten hatte ihre Haut die Farbe von Alabaster angenommen, und Maura fühlte sich plötzlich an ihren Besuch im British Museum erinnert, an einen Raum mit Dutzenden von Fragmenten römischer Statuen. Im Lauf der Jahrhunderte hatte der Marmor Risse bekommen, Köpfe waren abgebrochen, Arme abgefallen, bis nur noch anonyme Torsos übrig waren. Und das war es, was sie jetzt sah, als sie auf die Leiche hinabblickte. Eine zerbrochene Venus. Ohne Kopf.
    »Sieht aus, als hätte er sie hier auf dem Bett getötet«, sagte Jane. »Das würde die Spritzer an der Wand dort erklären, und das ganze Blut auf der Matratze. Danach hat er sie auf den Boden gezerrt, vielleicht, weil er eine feste Unterlage brauchte, um sie zu zerlegen.« Jane atmete tief ein und wandte sich ab, als sei sie plötzlich an ihre Grenze gestoßen, als könne sie den Anblick der Leiche nicht länger ertragen.
    »Du sagst, es hat nach dem Notruf zehn Minuten gedauert, bis die Streife hier war«, sagte Maura.
    »Ja, richtig.«
    »Was hier passiert ist - diese Amputationen, das
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