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Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale
Autoren: Tess Gerritsen
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ich auch? , dachte sie. Dein Herz kann nie mand brechen, weil du es nicht herschenken darfst. Sie sah demonstrativ auf ihre Uhr und stand auf. »Es ist sehr spät, und ich habe schon viel zu viel von Ihrer Zeit in Anspruch genommen.«
    »Es ist ja nicht so, als hätte ich irgendetwas Dringendes zu erledigen«, sagte er, als er sie zum Ausgang begleitete.
    »Sie sind Seelsorger für eine ganze Gemeinde. Und es ist schließlich Heiligabend.«
    »Wie Sie sicherlich bemerkt haben, habe auch ich heute Nacht nichts Besseres vor.«
    Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Da standen sie nun allein in der Kirche, atmeten den Duft von Kerzenwachs und Weihrauch ein, vertraute Gerüche, die ihr die Weihnachtsfeste, die Mitternachtsmessen ihrer Kindheit in Erinnerung riefen. Die Tage, als der Besuch einer Kirche noch nicht dieses Gefühlschaos auslösen konnte, das sie jetzt empfand. »Gute Nacht, Daniel«, sagte sie und wandte sich zur Tür.
    »Wird es erneut vier Monate dauern, bis wir uns wiedersehen?«, rief er ihr nach.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Unsere Gespräche haben mir gefehlt, Maura.«
    Wieder zögerte sie, die Hand schon erhoben, um die Tür auf zudrücken. »Mir haben sie auch gefehlt. Vielleicht sollten wir gerade deswegen in Zukunft darauf verzichten.«
    »Es gibt nichts, wofür wir uns schämen müssten.«
    »Noch nicht«, sagte sie leise, den Blick nicht auf ihn gerichtet, sondern auf die schwere, geschnitzte Tür, die zwischen ihr und dem Entrinnen stand.
    »Maura, lassen Sie uns nicht so auseinandergehen. Es gibt keinen Grund, weshalb wir nicht weiterhin …«
    Ihr Handy klingelte.
    Sie angelte es aus ihrer Handtasche. Um diese nächtliche Stunde konnte ein läutendes Telefon nichts Gutes bedeuten. Während sie den Anruf annahm, spürte sie, wie Daniel sie ansah, und sie war sich ihrer eigenen nervösen Reaktion auf sei nen Blick vollauf bewusst.
    »Dr. Isles«, meldete sie sich. Ihre Stimme klang unnatürlich kühl.
    »Frohe Weihnachten«, sagte Detective Jane Rizzoli. »Wundert mich, dass du um diese Zeit nicht zu Hause bist. Da hab ich's nämlich zuerst versucht.«
    »Ich bin in die Mitternachtsmesse gegangen.«
    »Echt? Aber es ist doch schon eins! Ist die Messe denn noch nicht aus?«
    »Doch, Jane. Die Messe ist aus, und ich wollte gerade gehen«, antwortete Maura in einem Ton, der alle weiteren Fragen unterband. »Was liegt an?«, fragte sie, denn ihr war längst klar, dass Jane ihr nicht bloß frohe Weihnachten wünschen wollte, sondern einen dienstlichen Grund für ihren Anruf haben musste.
    »Die Adresse ist Prescott Street 210, East Boston. Ein Wohnhaus. Frost und ich sind vor etwa einer halben Stunde hier eingetroffen.«
    »Einzelheiten?«
    »Ein Todesopfer - eine junge Frau.«
    »Ein Mord?«
    »Allerdings.«
    »Du scheinst dir sehr sicher zu sein.«
    »Das wirst du verstehen, wenn du erst mal hier bist.«
    Maura beendete das Gespräch und bemerkte, dass Daniel sie immer noch ansah. Aber der Augenblick für Wagnisse, für Worte, die sie beide vielleicht hinterher bereuen würden, war vorbei. Der Tod war ihnen dazwischengekommen.
    »Sie müssen zu einem Einsatz?«
    »Ich habe heute Nacht Bereitschaft.« Sie verstaute das Handy wieder in ihrer Tasche. »Ich habe hier in der Stadt keine Familie, deswegen habe ich mich freiwillig gemeldet.«
    »Ausgerechnet in dieser Nacht?«
    »Die Tatsache, dass heute Weihnachten ist, macht für mich keinen Unterschied.«
    Sie knöpfte ihren Mantelkragen zu und trat aus der Kir che hinaus in die Nacht. Er folgte ihr nach draußen und sah ihr von der Treppe aus nach, als sie durch den Neuschnee zu ihrem Wagen ging. Sein weißes Messgewand flatterte im Wind, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie er die Hand hob, um ihr zum Abschied zuzuwinken.
    Er winkte immer noch, als sie davonfuhr.

3
    Die pulsierenden blauen Lichter dreier Streifenwagen durchbrachen das filigrane Muster des fallenden Schnees und ließen alle, die sich diesem Ort näherten, wissen, dass hier etwas passiert war. Etwas Schreckliches. Maura merkte, wie die vordere Stoßstange ihres Lexus über Eis schrammte, als sie ihn möglichst dicht an dem aufgeschichteten Schneewall parkte, um Platz für andere Fahrzeuge zu lassen. Um diese Stunde, am frühen Weihnachtsmorgen, würden die einzigen Fahrzeuge, die sich durch diese schmale Straße zwängten, wie ihres zum Gefolge des Todes gehören. Sie nahm sich einen Moment Zeit, um sich für die anstrengenden Stunden zu wapp nen, die ihr bevorstanden. Ihre
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