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Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche
Autoren: Gudrun Weitbrecht
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abgeschabten Cordsakko, das er später gegen eine grüne Gärtner-Joppe tauschen würde, und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Dabei rutschte seine Brille nach vorne auf die Nasenflügel. Er rückte sie zurecht. Eigentlich brauchte er eine neue. Aber für gute Brillengläser musste man eine Menge zuzahlen, und das ging momentan nicht. Dafür hatte seine Gertrud aber eine schöne Beerdigung gehabt.
     
    „Es isch jedes Johr wärmer. No net a mol zehn Uhr ond scho übr zwonzik Grad! On schwül iss au no! On des om 9. Mai!“, brummte Albert vor sich hin.
    Dieses Jahr hatten die Tulpen und Narzissen ihre Köpfe schon im Februar weit aus der Erde herausgestreckt. Im März fror es erneut, im April ging ein schrecklicher Sturm mit Hagelschauer nieder, der aber seinen Garten und die Anlage auf wundersame Weise verschont hatte. Kaum schien die Sonne, schon sah es aus, als wuchsen alle Pflanzen gleichzeitig. Forsythie und Obstbäume standen in Blüte. Der Flieder duftete, rote Zierapfelbüsche leuchteten, vereinzelte Magnolien- und Kirschbäume verströmten schon von weitem ihren betörenden Duft. Sie ließen Alberts |21| Gärtnerherz höher schlagen. Sein Lieblingsspruch hieß: „Der Frühling ist die schönste Zeit im Gartenjahr.“
    Hoffentlich erwischt uns nicht die ‚Kalte Sophie‘ mit Nachtfrost. Vom 13. bis 15. Mai ist es kritisch. Dann ist die ganze Pracht dahin, und wenn bis dahin die Bienen nicht fliegen und bestäubt haben, gibt’s mal wieder kein Steinobst, überlegte Albert nun.
    Seine Gertrud hatte aus den Kirschen immer so leckere Marmelade gekocht. Ein Grund mehr, sie zu vermissen.
     
    Albert betrachtete sorgenvoll die Entwicklung der vermehrt weltweit auftretenden Wetterkapriolen. Tornados in Deutschland, das hatte es früher nie gegeben! Aber wie es aussah, würde es kein Einzelfall bleiben. Wahrscheinlich hing es mit der globalen Erwärmung zusammen.
    Ich sollte mal den Lorenz Tressel besuchen. War erst seit kurzem Mitglied. Komischer Kauz, der Lorenz, ein Eigenbrödler, nicht unfreundlich, aber oft kurz angebunden. Vielleicht kann ich ihn überreden, mit mir ein Gläschen ‚Feuerbacher Berg‘ zu trinken und dabei über die Klimaveränderung zu reden, überlegte Albert.
    Lorenz musste sich in Wetterdingen gut auskennen, er besaß auf seiner Parzelle eine private Wetterstation, die er mit Sonnenkollektoren betrieb. Das Bundeskleingartengesetz erlaubte Sonnenkollektoren. Er hatte gehört, dass Lorenz Mitglied in der Vereinigung Europäischer Hobby-Meteorologen war und in ständigem Austausch mit anderen Wetterfröschen stand.
    Albert selbst hielt sich mehr an die Vorhersagen des Bauernkalenders. Nur trafen sie in letzter Zeit immer seltener zu.
     
    Gerade kam ihm Mike Fink in seinem schwedischen Auto entgegen, Albert kannte die Marke, aber sie fiel ihm im Augenblick nicht ein. Müde winkte er Fink zu und verschnaufte.
    Seitdem die Polizei ihn bei einer Kontrolle mit über einer Promille erwischt hatte, war er seinen Pappendeckel los, und dies nicht zum ersten Mal. Er trank einfach zu viel, seitdem seine Gertrud gestorben war, und redete oft laut mit sich selbst. Klar, hatte seine Frau in den letzten Jahren häufig mit ihm gestritten und konnte auch manchmal richtig giftig sein. Aber Albert erinnerte sich gerne an die frühen Jahre mit ihr, in denen sie jung und glücklich gewesen waren. Die romantische Liebe ist das eine, etwas anderes ist die gewachsene Liebe einer Ehe, das absolute Vertrauen. |22| Albert fand es schade, dass heutzutage sich die jungen Paare nach dem ersten Krach sofort scheiden ließen.
     
    Nachdem Wilma sich von ihrem Schreck erholt hatte, beinahe überfahren worden zu sein, lief sie weiter. „So ein Seckel!“, dachte sie, aber dann überfiel sie wieder der Gedanke an ihr Problem mit Ricardo.
    In ihrem Job sah Wilma ab und zu Leichen, aber bis zum Tod ihres Sohnes berührte sie es nicht, die professionelle Distanz gehörte in ihrem Beruf einfach dazu. Auch mit Ricardo war es etwas anderes gewesen.
    Obwohl es für sie einfacher und naheliegend gewesen wäre, konnte sie keine Opiate oder Barbiturate entwenden. Über jede verabreichte Ampulle musste sie Rechenschaft ablegen, die Klinikapotheke führte über die Ausgaben der Medikamente genau Buch. Außerdem wurde ein Rezept des behandelnden Arztes verlangt. Die Gefahr, entdeckt zu werden, war zu groß gewesen.
    Ihr Rezept, die Pesto-Nudeln, fielen ihr als Lösung ein. Ricardo aß sie für sein Leben gern. Nun, vor einem Jahr
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