Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutkirsche

Blutkirsche

Titel: Blutkirsche
Autoren: Gudrun Weitbrecht
Vom Netzwerk:
Pflegeheimplatz seiner Mutter wollte und konnte er nicht sparen. Er schuldete ihr Dank, sie hatte es nie leicht gehabt.
    Nie mehr im Leben arm sein – dies schwor er sich als Kind, damals als er sein Pausenbrot nur mit Marmelade, ohne Margarine, geschweige denn Butter darauf, verzehrte. Er erinnerte sich noch wie heute an das Gelächter seiner Mitschüler: „Der hat ja noch nicht mal Butter drauf.“
    Irgendwie hatte es seine Mutter dann doch geschafft, ihm den Besuch des Gymnasiums zu ermöglichen. Für seinen Vater war das Gymnasium Humbug. „Wozu braucht der Abitur? Will nicht schaffen und was Besseres werden als wir“, brüllte er durch die Wohnung. Günther verachtete ihn.
    Bei Klassenfahrten und Freizeiten musste er zu Hause bleiben. Am Anfang des Monats, wenn der Alte den Lohn noch nicht versoffen hatte, und seine Mutter heimlich Geld abzweigen konnte, durfte er ab und zu ins Kino. Fasziniert von den französischen Nouvelle-Vague-Filmen, von Chabrol, Louis Malle und Truffaut, vergaß er sogar sein ärmliches Zuhause, seine verhärmte Mutter und den ewig betrunkenen Vater. Seine Lieblingsschauspielerin war Romy Schneider, nicht als Sissy, sondern als gereifte Schauspielerin, aus dem Swimmingpool steigend. Genau so sexy wie Marilyn Monroe in ihrem letzten unvollendeten Film. Natürlich war er damals viel zu jung gewesen, aber der Bruder seines besten Kumpels schleuste ihn ins Kino hinein. Der saß sozusagen an der Quelle, konnte alles anschauen, weil er die Filmrollen einlegte. Seit dieser Zeit bezeichnete Günther sich als Cineasten. Die Begeisterung für das Kino hatte er mit Anne, seiner geschiedenen Frau, geteilt. Aber gegenüber früher stellte ein Kinobesuch für ihn heute kein Vergnügen mehr dar. Die |14| meisten Säle waren zu groß, die Zuschauer mampften Nachos oder Popcorn, es müffelte nach billigem Käse, und das Knistern und Rascheln der Tüten übertönte die Dialoge. Handys klingelten, Teppichboden und Sitze klebten von verschüttetem Cola.
    Günther dachte an die Zeit während seines Studiums, als Kinos noch Lichtspieltheater hießen, und es ein gesellschaftliches Ereignis gewesen war, sich die neuesten Produktionen anzusehen. Während er damals gebannt auf die Leinwand schaute, konnte er sich kein Popcorn oder das Eiskonfekt leisten, das zwischen den Reihen aus einem Bauchladen heraus verkauft wurde.
    Seitdem er ein Heimkino besaß, holte er sich die DVDs nach Hause, aber es war nicht dasselbe Erlebnis wie im Kinosaal. Einen ganzen Saal nur für sich zu mieten, kam für ihn als Schwabe nicht infrage.
    Eigentlich wollte er Filmregisseur werden – der ‚Steven Spielberg‘ vom Nesenbach. Als seine Mutter ihm riet, er solle lieber etwas Bodenständigeres studieren, Architektur oder ein ähnliches Fach, denn gebaut würde immer, nahm er von seinem Traum schweren Herzens Abschied.
    Er dachte an seine Studentenzeit, als er während der Semesterferien als Maurer, später als Polier in einer Baufirma schuftete. Er hatte jeden Pfennig gespart, die richtige Nase gehabt, spekuliert und so seine erste Million gemacht. Heute gehörte ihm die Firma, in der er früher Steine schleppte. Er hatte es dem Alten, diesem Saufkopf gezeigt. Vom Maurer zum Millionär! Es gab sie, diese Karrieren, nicht nur in Amerika, er war der lebende Beweis. Aber nun ging es bergab. Wie lange würde er seine Firma noch halten können?
    Schon jetzt verschlangen die Kreditzinsen Unsummen. Sein Geld lag buchstäblich in der Erde. In den Grundstücken rund um den Bahnhof, die er nach einem Insidertipp gekauft hatte, lange bevor der Vertrag der Stadt mit der Bahn über Stuttgart 21 auf dem Tisch lag. Und jetzt war es fraglich, ob das Bauvorhaben überhaupt zustande kam. Ein Milliardenprojekt – der Kopfbahnhof sollte verschwinden, die Gleise unter die Erde verlegt werden, damit die Züge durchfahren konnten. Ein riesiges Kuppeldach würde den neuen Bahnhof überspannen. Dazu brauchte es Platz, Häuser, ja ganze Straßenzüge, ein Teil des Parks mussten verschwinden, wurden untertunnelt. Das ganz große Geld würde er mit seiner Baufirma, falls dort je gegraben wurde, verdienen. Ein gigantisches Projekt. Er hatte es schon ausgerechnet: Wenn er durch einen Strohmann eine Scheinfirma gründete, damit genug ausländische Arbeiter anwarb, die keiner Gewerkschaft angehörten und nicht den regulären |15| Lohn bekamen, war es leicht, die Ausschreibungen zu unterbieten. Sein Kontakt würde ihm die Höhe der Angebote anderer Bewerber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher