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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
Autoren: Stephan Russbült
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ist. Sag nichts, ich habe genau gesehen, wie du letztes Mal dein Gesicht verzogen hast.«
    Usil antwortete nicht. Der alte Mann hockte auf einem Holzschemel am Tisch, sein Kopf war nach vornübergefallen und ruhte auf seiner Brust.
    Die spärliche Einrichtung der Höhle schien zusammengesammelt. Tatsächlich handelte es sich um Treibgut von gesunkenen Schiffen, das Mogda an der Nordküste gefunden hatte. Die wenigen Möbel wirkten wie Spielzeuge in Anbetracht der Größe des Ogers. Keines von ihnen hätte Mogdas Gewicht standgehalten, aber aus Fürsorge für den Alten und um ihm seinen Lebensabend heimelig zu machen, hatte er sie hier herauf mitgeschleppt. Mogdas breites, kantiges Gesicht und die wettergegerbte Haut gaben ihm ein barbarisches Aussehen, wie allen Ogern. Doch in seinen Zügen lag auch etwas Weisheit und Güte, etwas, das den meisten seines Volkes fehlte.
    Ein halbes Jahr war es her, dass Mogda Usil auf dessen Hof am Rande des Tannenverlieses besucht hatte. Er fand den Alten, gehüllt in eine löchrige Decke, in seinem Bett zusammengekauert. Im Ofen brannte kein Feuer, und Türen und Fenster waren aus ihren Halterungen gebrochen. Es hätte nicht mehr lange gedauert, und Usil wäre entweder erfroren oder verhungert. Mogda hatte es nicht übers Herz gebracht, den Alten dort zum Sterben zurückzulassen. Immerhin war der Einsiedler sein langjährigster Menschenfreund, und ihm hatte er es zu verdanken, so viel über die Hüttenbauer erfahren zu haben. Jetzt bewohnte der Alte zusammen mit dem Oger einen Gipfel der Nordklippen. Aber Usil hatte seit Monaten kein Wort gesprochen, und er schien von Tag zu Tag schwächer zu werden.
    Mogda nahm den brodelnden Topf vom Feuer. Die Muskeln des fast zehn Fuß großen Ogers spannten sich, als er den Topf am ausgestreckten Arm hielt. Das Leben in den Bergen hatte Mogda einiges abverlangt, ihn aber noch zäher und kräftiger werden lassen. Der Oger stellte den Kessel auf den Tisch in der Mitte des Raumes.
    »Iss, solange sie heiß ist«, brummte er und hockte sich neben Usil, wobei er immer noch drei Köpfe größer war als der Mensch. Mogda zog die Kelle durch die Suppe und starrte in die klare Brühe. »Hey Alterchen, das scheint dein Glückstag zu sein, da schöpfe ich eine Kelle voll, und es sind gleich zwei Stücke Gimswurz drin.«
    Mogda pustete über die Suppenkelle und verteilte dabei die Hälfte der Brühe über den Tisch. Vorsichtig nahm er die Kelle und führte sie an Usils Lippen. Sosehr er sich auch bemühte, das wässrige Gebräu lief immer wieder aus den Mundwinkeln des Alten und rann über dessen Kinn auf den Tisch.
    »Nun stell dich nicht so an, so schlecht ist sie auch wieder nicht«, schimpfte Mogda halblaut.
    Er schöpfte erneut eine Kelle und probierte die Suppe diesmal selbst. Angeekelt schluckte er den Sud herunter. »Na, wenn das nichts ist«, hustete er. »Ich fühle mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Gut, du hast Recht, das konnte ich auch schon vorher, aber die Suppe schmeckt, als müsste man Bäume ausreißen ... damit man den Geschmack vergisst«, fügte er leise murmelnd hinzu.
    Allein vom Geruch angeekelt, hängte er den Topf wieder über die Feuerstelle. »Sie muss einfach noch etwas ziehen, du wirst sehen, dann schmeckt sie prima.«
    Mogda ließ sich nicht anmerken, dass ihm der Zustand seines Menschenfreundes zu schaffen machte. Irgendwie erinnerte ihn der Alte an einen Oger, der seine letzten Tage, ausgestoßen von der Gemeinschaft, damit verbrachte, in einer Höhle auf den Tod zu warten.
    Nun war es nicht gerade so, dass Oger enge Kontakte untereinander pflegten, und die meisten starben ohnehin eines gewaltsamen Todes, aber Mogda sah sich durchaus auch ein wenig selbst in dieser möglichen Rolle des einsam sterbenden Bergbewohners. Er war kein Kämpfer wie Rator, dem das Ende auf dem Schlachtfeld vorherbestimmt war. Mogda lebte hier oben zurückgezogen von den anderen, und sein Ende würde dem von Usil gleichen. Und noch etwas verband ihn mit dem alten Kauz: Mogda hatte bisher keinen Nachwuchs gezeugt, und so wie es sich verhielt, würde ihm dies auch verwehrt bleiben. Sein Leben in Nelbor würde keine Spuren hinterlassen. Alles, worauf der Oger hoffen konnte, war, dass sich irgendjemand aus seinem Volk an ihn erinnerte. Aber selbst dann würde er wohl nur als »schlauer Oger« in bruchstückhaft gestammelten Geschichten erwähnt werden.
    Mogda wurde aus seinen Gedanken gerissen, als von außen etwas unsanft gegen die Tür schlug.
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