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Blutiger Sand

Blutiger Sand

Titel: Blutiger Sand
Autoren: E Kneifl
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im Grand Canyon, Arizona, März 2012
    Die ersten Stunden des Abstiegs bewältigten sie ohne Probleme. Sie hatten den schwierigen Pfad gewählt.
    Sind eben jung und sportlich, dachte der Mann, der hinter ihnen her war. Fluchend stolperte er über die Geröllhalde, denn als Pfad konnte man diesen Weg nicht bezeichnen. Zum Glück hatte er nicht schwer zu tragen. In seiner Jackentasche befanden sich ein Geldbündel und eine Smith & Wesson, Kaliber 34.
    Das Pärchen war hingegen schwer bepackt mit Zelt und Schlafsäcken. Geschickt hantelten sie sich durch schmale Kamine inmitten bizarrer Felsformationen und blieben nicht nur einmal mit ihren prallen Rucksäcken hängen. Sie gaben nicht auf, sondern halfen sich gegenseitig Meter für Meter weiter.
    Lange Zeit begegneten sie keinem Menschen. Erst als sie ungefähr die Hälfte des Weges hinter sich hatten, kam ihnen ein alter weißhaariger Indianer entgegen.
    Der Mann, der sie verfolgte, wusste, dass unten in der Schlucht des Grand Canyon, auf der anderen Seite des Flusses, die Havasupai leben. Rasch versteckte er sich hinter einem Felsen, ein paar Meter oberhalb der Stelle, wo das Pärchen gerade mit dem Indianer plauderte.
    Der junge Mann fragte ihn, wie lange sie noch bis ganz unten zum Colorado River brauchen würden.
    „Es ist nicht mehr weit“, sagte der Alte. „Aber ihr müsst vorsichtig sein. Jetzt im Frühjahr kommen die Wassermassen im Canyon oft ohne Vorwarnung angeschossen. Viele leichtsinnige Touristen sind hier schon verunglückt, weil sie die Warnschilder missachtet haben und sich nicht vorstellen konnten, dass der Regen in Sekundenschnelle die harmlosen Bäche in reißende Ströme verwandeln kann.“
    Ihr Verfolger verstand nahezu jedes Wort. Als der alte Havasupai auf sein Versteck zukam, fragte er sich, ob er ihn kaltmachen sollte. Der Indianer sah ziemlich klapprig aus. Er würde keine Kugel für ihn verschwenden müssen, könnte ihn von hinten anspringen und einfach erwürgen. Der Hals des Alten war dünn, durch die papierene Haut schimmerten die blauen Adern.
    Während er überlegte, zog der Indianer ein Beil aus seinem Gürtel und fällte mit einem Hieb ein zartes Bäumchen. Entfernte die Äste und Zweige und spitzte das obere Ende des Stammes zu. Zufrieden betrachtete er sein Werk: ein Spazierstock, der gleichzeitig als Speer verwendbar war.
    Der Mann hinter dem Felsen beschloss, lieber kein Risiko einzugehen.
    Das smaragdfarbene Wasser des Little Colorado River glitzerte verführerisch in der Sonne. Die junge Frau schlug vor, kurz Rast zu machen. Auch ihr Mann schien mit seinen Kräften am Ende zu sein, wollte es aber nicht zugeben, obwohl sein Bubengesicht vor Schweiß glänzte.
    „Jetzt schon, Darling? Ich fürchte, wir werden es nicht schaffen, bis zum Sonnenuntergang den Fluss zu erreichen“, sagte er.
    Sie küsste ihn. Ihr Kuss ließ keinen weiteren Widerspruch zu.
    Sie ließen sich auf einem Felsvorsprung nieder. Lehnten sich an ihre Rucksäcke. Die glatte rosa Felsplatte ragte weit über den Abgrund hinaus. Sie saßen genau über jener Stelle, an der sich das saubere Wasser des kleinen Colorado in den schmutzigen Colorado River ergießt. Etwas weiter entfernt lag ein länglicher See von einem unwahrscheinlich tiefen Blau.
    „Ist es nicht wunderbar hier, Honey?“, fragte sie ihren Mann.
    „Ja, Darling.“
    Der Anblick der von den Strahlen der untergehenden Sonne beleuchteten Wolkenbänke, die sich wie riesige weiße Himmelbetten im Norden und Westen auftürmten, war hinreißend.
    Sie umarmten sich erneut. Er streichelte ihr Gesicht, legte seine Finger auf ihre Lippen und liebkoste sie. Eng umschlungen saßen sie da und betrachteten das schönste Schauspiel, das Mutter Natur zu bieten hatte.
    Er lag in ihren Armen, als ihn die Kugel ins Genick traf. Der Knall hallte in ihren Ohren wider. Sie fürchtete, ihr Trommelfell würde platzen.
    Automatisch griff sie nach dem Handy in ihrer Hosentasche. Ein Funkloch.
    Völlig verwirrt und unschlüssig, ob sie sich um den Sterbenden kümmern oder davonrennen sollte, blieb sie wie angewurzelt sitzen und starrte auf den dicklichen Mann, der grinsend näher kam.
    Ihr Schrei ging im Knall des Schusses unter. Der zweite Schuss traf sie aus nächster Nähe. Genau zwischen die Augen. Sie war sofort tot.

18.
Grand Canyon, Arizona, April 2012
    Simon hat mich davon überzeugt, dass Claire nichts passieren wird. Trotzdem rede ich während der Fahrt von Williams zum Grand Canyon kein Wort.
    Mir ist zum Heulen
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