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Blutiger Frühling

Titel: Blutiger Frühling
Autoren: Barbara von Bellingen
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Baum, irgendeinem Dorfgalgen aufgeknüpft – wie all die anderen, die dabei gewesen waren.
    Anna Elisabeth griff nach dem kleinen goldenen Ring mit dem roten Stein, den sie seit jenem furchtbaren Tag nach Pfingsten wieder am Band um den Hals trug. »Liebster«, flüsterte sie vor sich hin, »du hättest mich nicht verlassen dürfen. Ich hatte Recht, als ich versuchte, dich zurückzuhalten. Was hat dir dein verdammtes Ehrgefühl denn genützt? Die Sache der Bauern war schon damals unwiderruflich verloren – die anderen haben gewonnen, wie immer. Und dennoch ...«
    Ohnmächtiger Zorn hob sich plötzlich in ihr – ein hilfloser Hass auf die Fürsten, die sich jetzt so grausam dafür rächten, dass Bauern es gewagt hatten, ein ganz bescheidenes Recht einzufordern. Sie selbst hatte die Zwölf Artikel gelesen, einen verblassten Druck auf einem zerknitterten Stück Papier – und zwar in einem Wirtshaus bei Heilbronn, wo sie ihren letzten Silbergroschen aus Albrechts Beutel gelassen hatte. Es war wenig gewesen, was die Bauern hatten erreichen wollen – so wenig, dass einem die Tränen kommen konnten. Keinen kleinen Zehnten mehr, keinen Todfall, und freie Nutzung der Wälderund Gewässer. Vor allem hatten sie sich ihren Pfarrer selbst wählen wollen – ein Recht, das wahrlich gering einzuschätzen war. Und auf alles, was nach Gottes Gesetz unrecht war, hatten sie uneingeschränkt verzichten wollen.
    Nun blieb alles beim Alten. Anna Elisabeth krampfte die Hände um die Zügel ihres Reittieres, das müde stolpernd dahinzog. Nein – nicht alles. Albrecht war tot. Ihre Liebe war gestorben – und sie musste weiterleben. Sie wusste noch nicht, wie sie das fertig bringen sollte.
    Zu Hause, in dem Haus am Mühlenteich, wie es da jetzt wohl aussah? Die Frauen, die Kinder – sie alle waren allein, genauso verlassen wie sie selbst. Von den Männern waren ja nur die Alten zurückgeblieben, Greise, die zur Arbeit nicht mehr taugten. Würde der Abt von Kaltental ihnen alles nehmen und sie hinausweisen auf die Landstraße?
    Wie es auch sein mochte – sie würde heimkehren. Sie würde sich der Kinder annehmen, sich um die Überlebenden kümmern. Vielleicht verblassten dann irgendwann einmal die grauenvollen Bilder, die sie jetzt noch neu und frisch im Gedächtnis trug. Und vielleicht konnte sie irgendwann einmal ohne den wilden Schmerz, der jetzt noch ihr Herz zerriss, an Albrecht denken ...
    Das müde Tier blieb stehen und weigerte sich, weiterzugehen. Anna Elisabeth glitt von seinem Rücken herab und führte es an den Rand des Baches, der neben der Straße floss. Hier, vor einem kleinen Gehölz, bei dem die Blumen besonders schön blühten, würde sie eine lange Rast einlegen und dem Muli Ruhe gönnen. Es kam nicht auf einen Tag an, oder auf zwei. Zeit war unwichtig geworden ohne ihre Liebe ...
     
    Noch fünfzig Meilen bis Amorbach. Das stand auf dem Meilenstein rechts am Staßenrand. Die Sonne strahlte vom sommerblauenHimmel, und kleine Lämmerwölkchen zogen in unschuldigem Weiß darüber hin ...
    Albrecht Wolf von Weißenstein hatte harte, ausgemergelte Züge. Seine blauen Augen lagen tief in den Höhlen; sein blondes, schulterlanges Haar, das in der sanften Brise flatterte, umgab das Gesicht eines Mannes, der nichts mehr vom Leben erwartet.
    Es musste um Mittag sein. Der große Falbe schnaubte sacht, tänzelte, wollte weiter. Doch Albrecht zügelte ihn und verhielt noch einen Augenblick auf der Stelle. Zeit spielte keine Rolle mehr, seit er wusste ...
    Er biss die Zähne zusammen und schloss für einen Moment die Augen. Den Geyer hatten sie umgebracht auf einer Heide bei Hall. Ingolstadt war die letzte Station der Schwarzen Schar gewesen, dort waren die letzten seiner Getreuen gefallen – mit einer Ausnahme. Er, Albrecht Weißenstein, hatte es geschafft, zu entkommen. Aber zu welchem Zweck?
    Er war ein Gejagter, wurde gesucht ... vielleicht. Bis hierher hatte ihn allerdings noch niemand aufgehalten oder nach dem Woher und Wohin gefragt. Das war schon sonderbar, zumal doch das Richten und Hängen unter den Bauern augenblicklich seinen Höhepunkt erreicht hatte. Die Henker wateten förmlich in Blut – so, wie die Lanzknechte des Truchsess bei Sulzdorf in Blut gewatet hatten.
    Ausgestorbene Dörfer, verwaiste Äcker allenthalben. Kaum ein Feld, das bebaut war. Hoch sprossten die wilden Blumen, und er hatte auf seinem langen Ritt überall fast nur Ödland gesehen. Kein Feindgeschrei mehr, und keine frommen Choräle, von
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