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Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman
Autoren: Marion Pauw
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kluges Mädchen sind, lassen Sie die Sache auf sich beruhen.«

    »Ihre Reaktion ist dermaßen extrem, dass sie nur eine Schlussfolgerung zulässt: Sie sind Rays Vater.«
    »Sie lässt überhaupt keine Schlussfolgerungen zu«, schnaubte er und legte auf.

52
    Meine Mutter betrat wortlos den Besucherraum. Sie nickte mir kurz zu und setzte sich gegenüber. Das Erste, was mir auffiel, war die riesige goldene Biene, die sie an ihren Pulli gesteckt hatte. Danach sah ich, dass ihre Haare etwas kürzer waren als beim letzten Mal. Sie umrahmten in starren Wellen ihr Gesicht. Ich hatte das Bedürfnis, sie anzufassen.
    Sie verschränkte die Hände, die Ellbogen hatte sie auf den Tisch gestützt. »Du wirst dich bestimmt fragen, was ich hier will.«
    Ich merkte, dass ich zitterte, und setzte mich auf meine Hände, damit sie nicht wild zuckten. Würde sie mich umarmen? Mir sagen, dass ich ihr Sohn und sie immer für mich da sei, auch wenn wir nicht zusammenlebten?
    »Ich weiß, dass du deine kleine Schwester kennengelernt hast.« Sie lachte kurz, aber ich bezweifelte, dass es ein aufrichtiges Lachen war. »Und dass sie es sich in den Kopf gesetzt hat, dir zu helfen.«
    Ich nickte. Iris Kastelein. Meine Schwester.
    »Genau darüber möchte ich mit dir reden.« Meine Mutter sah mich mit ihren blauen, dunkel umrandeten Augen fest an. Sie hatte sich nie von meiner Größe täuschen lassen. Sie wusste ganz genau, wie klein ich war.
    »Doch vorab noch etwas anderes: Habe ich das richtig verstanden, dass du dein Aquarium in deinem Zimmer haben darfst?«

    »Ja! Nächste Woche schon.« Ich bekam es mit der Angst. »Du hast doch nichts dagegen, Mama?«
    Sie lächelte. »Natürlich nicht, mein Schatz. Selbstverständlich bekommst du dein Aquarium. Vorausgesetzt, du hältst dich an die Regeln.«
    »Das mache ich auch. Wirklich.«
    »Schön. Ich weiß, du tust dein Bestes, Ray.«
    »Ja.« Ich zog die Hände unter meinen Oberschenkeln hervor. Sie blieben ruhig auf meinem Schoß liegen.
    »Aber es gibt jetzt neue Regeln. Regeln, die du noch nicht kennst.«
    »Gut.«
    »Könnten Sie uns einen Kaffee holen?«, bat meine Mutter den Soziotherapeuten mit der Brille.
    »Gern«, sagte er. Zusammen mit dem Wachmann verließ er den Raum. Das erstaunte mich. Mo holte nie etwas zu trinken für Besucher. Und das Zimmer verließ er erst recht nicht.
    »Die neue Regel, Ray«, sagte meine Mutter mit Nachdruck, »lautet, dass du nie mehr behauptest, unschuldig zu sein.«
    Ich überlegte, ob ich sie richtig verstanden hatte. Es kam öfter vor, dass sie Dinge sagte, die nicht stimmten. Zum Beispiel, dass es mir gutgehen würde, was dann gar nicht der Fall war. »Aber ich war es nicht, Mama!«
    »Die neue Regel lautet«, wiederholte meine Mutter ruhig und nachdrücklich, »dass du den Mord doch begangen hast. Nur dann dürfen die Fische bei dir bleiben, verstanden?«
    Ich schüttelte den Kopf und setzte mich zur Sicherheit wieder auf meine Hände.
    »Ray, du hast Rosita und Anna ermordet. Und das wirst du jetzt deiner Schwester schreiben. Du wirst ihr mitteilen, dass sie mit ihren lächerlichen Ermittlungen aufhören soll. Und
dass es besser ist, wenn ihr euch nicht mehr seht. Nie mehr.« Meine Mutter legte einen Notizblock vor mich hin und einen Stift. »Schreib, was ich dir sage.«
    »Nein«, sagte ich. »Ich war es nicht. Ich war es wirklich nicht. Das weiß ich ganz genau. Und ich will Iris Kastelein auch keinen Brief schreiben. Ich will, dass sie bleibt und mir hilft.«
    Sie sah mich ungerührt an. »Na gut. Ich wollte das eigentlich vermeiden, aber du lässt mir keine andere Wahl.« Sie beugte sich zur Seite, um wieder etwas aus ihrer Tasche zu holen. Es war eine Brotdose.
    Wo steckte der Soziotherapeut mit der Brille? Wo war der Wachmann?
    Meine Mutter nahm den Deckel von der Dose und holte ein gefrorenes Kühlelement heraus. Darunter befand sich ein kleines Päckchen aus Küchenpapier, das mit kleinen Kätzchen bedruckt war. Sie faltete es auseinander. »Du wolltest es ja nicht anders.«
    Ein entstellter Fisch wurde auf den Tisch gelegt. Obwohl er an einer Seite aufgeschnitten war, erkannte ich ihn sofort. Es war Hannibal, und ich konnte seine Eingeweide sehen.
    Der nächste Fisch, der zum Vorschein kam, war King Kong. Auch sein Körper war aufgeschnitten. Ich konnte gar nicht hinsehen. Nicht King Kong. Nicht mein majestätischer King Kong, den ich Anna gekauft hatte.
    »Du schreibst jetzt genau auf, was ich dir sage, oder du hast bald keine Fische mehr
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