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Blutige Asche Roman

Titel: Blutige Asche Roman
Autoren: Marion Pauw
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was zwischen meiner Mutter und Ray vorgefallen war. Ich griff zum Telefon und drückte es Mo in die Hand. »Ruf das Wachpersonal an.«
    »Das hat keinen Sinn.«
    »Trotzdem, ruf an. Vielleicht haben sie die Bänder noch.«
    »Ich habe die Nummer der Klinik nicht dabei.«
    »Aber ich hab sie.«
    »Muss das wirklich jetzt sein?«
    »Ja, tut mir leid.« Ich nahm ihm das Telefon ab und wählte die Nummer. »Ich komm erst wieder zurück ins Bett, wenn du mit dem Wachpersonal gesprochen hast.«
     
    Das Telefongespräch dauerte ein paar Minuten. Mo erklärte kurz die Situation und sagte anschließend nur noch so etwas wie »Tja«, »Also …« und »Verstehe«.
     
    Als er das Gespräch beendete, hielt ich es kaum noch aus. »Du kannst wieder ins Bett kommen, denn du hast wahnsinniges Glück gehabt, Verehrteste.«

    »Wirklich?«
    »Anscheinend wird gegen Stefan ermittelt, weil die Möglichkeit besteht, dass er Drogen schmuggelt. Deshalb werden alle Bänder aufbewahrt, auf denen er zu sehen ist.«
    »Fantastisch! Wann können wir sie haben?«
    »Das ist wieder etwas anders. Wir können sie nicht haben. Aber ich darf morgen ›zufällig‹ vorbeikommen, wenn sie sich die Bänder gerade ›rein zufällig‹ ansehen.«
    »Super!«, rief ich.
    »Warum? Ich kann dir, ehrlich gesagt, nicht ganz folgen.«
    »Ich glaube, dass meine Mutter Ray erpresst hat, damit er den Kontakt zu mir abbricht«, sagte ich. »Und ich hoffe, dass auf dem Band etwas davon zu sehen ist.«
    »Die Bänder sind leider ohne Ton.«
    »Dann werde ich eben einen Lippenleser beauftragen.«
    »Du bist ja verrückt. Und jetzt komm zurück ins Bett.« Er packte mich und zog mich an sich. »Und diesen komischen Riesenbademantel darfst du auch wieder ausziehen.«

54
    Ich saß vor meinem Aquarium und betrachtete die Fische. Venus und Peanut, die ab und zu die Köpfe aus der Grotte steckten und danach schnell wieder hineinschwammen. Margje, die ihre kleinen Runden drehte. François und Chili, die in den neun Jahren, die ich sie nicht gesehen hatte, ganz schön gewachsen waren. Zum Glück werden Fische sehr alt. Wir hatten noch ein paar gemeinsame Jahre vor uns.
    »Ihr werdet euch schon noch daran gewöhnen«, sagte ich. »Am Anfang ist es schwierig, aber bald wird es euch hier gefallen.«
    Während ich beglückt vor meinem Aquarium saß - wo ich mit Erlaubnis des Soziotherapeuten der Autisten-Station den ganzen Tag bleiben durfte, wenn ich pünktlich aß und zwei Stunden Therapie machte -, dachte ich wieder an den Morgen, an dem Rosita und Anna ermordet wurden. Zum letzten Mal, schwor ich mir. Ich hatte diesen Film einfach zu oft gesehen. Ich musste an meine Zukunft denken.
    In Gedanken drückte ich die Tür zu dem kleinen Flur auf und sah sie dort liegen. So reglos. So tot. Wie hatte ich mich dabei gefühlt? Überrascht. Leer. Als sei das alles gar nicht wahr. Aber auch wütend. So als hätte es Rosita endgültig geschafft, mich für immer aus ihrem Leben zu verbannen.
    »Tschüss, Anna, tschüss, Rosita«, flüsterte ich. »Wir waren beinahe eine Familie, da kannst du sagen, was du willst. Du
hast mich ausgelacht und gedemütigt, aber ich weiß, wie es wirklich war.«
    Ich hatte Rosita angefasst, an jenem Morgen in der Koningin Wilhelminastraat. Ich hatte meine Hand auf die Kuhle zwischen ihren Schlüsselbeinen gelegt, auf die Fossa suprasternalis , den schönsten Ort der Welt. Ihre Haut war noch warm. Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß. Ich weiß nur noch, dass ich mich fühlte, als wäre ich irgendwann erwacht. Der Geruch von Blut drang mir in die Nase, und ich musste würgen.
    Ich rannte nach Hause. Als ich in den Flur kam, stand da ein Müllsack, den ich nicht dort hingestellt hatte. Ich hörte Wasser laufen.
    »Ray!« Meine Mutter machte den Abwasch. Ich erschrak bei ihrem Anblick und sie bei meinem. Sie ließ etwas in die Spüle fallen und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Was machst du denn hier?«
    Ich sah sie reglos an und wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus.
    »Warum bist du nicht in der Arbeit?«
    »Es ging nicht mehr«, sagte ich.
    »Du bist voller Blut.«
    »Und du hast meine Sachen an.« Das war merkwürdig. Meine Mutter trug meine Jeans und meinen Pulli. Beides war ihr viel zu groß.
    »Mir ist schlecht geworden«, sagte sie. »Ich wollte dich überraschen, aber dann wurde mir schlecht, und jetzt bin ich beim Saubermachen.«
    »Oh.« Ich konnte nicht mehr klar denken.
    »Du hast eine Riesenblutspur
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