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Blutheide

Blutheide

Titel: Blutheide
Autoren: K.Hanke und C. Kröger
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zuvor ihren Vater in seiner lächerlichen Barkeeperkluft, die doch nur zeigte, dass er jetzt anderen zu Willen sein musste. Dennoch hatte er das falsche Kind erwischt! Die Disharmonie, die er damit in sein Meisterstück und letztlich in seine gesamte Enzyklopädie gebracht hatte, machte sich jetzt in seinem Körper breit, ergriff von seinem Verstand Besitz und wurde erneut zur glühenden Wut. Er wusste, er musste diese Wut erst loswerden, damit er wenigstens sein Finale wie geplant inszenieren konnte. Sie musste wieder raus aus seinem Kopf.

    Er ging ins Badezimmer, zog sich nackt aus, holte das Rasierzeug aus dem Schränkchen über dem Waschbecken und rasierte sich den Schädel. Ein paar Mal schnitt er sich, weil er sich hetzte, aber er wollte rechtzeitig fertig sein. Er ließ das Blut laufen und rasierte stoisch weiter. Als er fertig war, spürte er, wie die Wut, der er nun einen Weg hinaus aus seinem Kopf geschaffen hatte, tatsächlich geringer wurde. Auch die Stimme der Rothaarigen in ihm wurde immer leiser. Bald flüsterte sie nur noch: »Laura … Laura …« Noch war also nicht alles verloren. Noch lag es in seiner Macht, zumindest den Schlussakkord wie geplant perfekt zu setzen, sodass er noch lange nachklingen würde. Er ging vom Badezimmer an seinen Schreibtisch. Eigentlich hatte er sich tätowieren lassen wollen, doch die Zeit blieb ihm jetzt nicht mehr. Ein Permanent-Marker würde es auch tun. Im Stehen, mit gebeugtem Kopf, fing er an zu schreiben. Es dauerte länger als erwartet. Nachdem er das letzte Wort geschrieben hatte, ging er zurück ins Badezimmer und begutachtete seine vollgeschriebenen Unterarme:
    Wer alles sühnen will
    der scheitert
    Wer vieles sühnen will
    der sühnt nur weniges
    Wer weniges sühnen will
    der sühnt gar nichts
    Wer nur sühnen will
    was sich sühnen lässt ohne Schaden
    der richtet nur noch größeren Schaden an
    Vielleicht muss trotzdem gesühnt sein
    aber nicht nur durch Sühne.
    (Erich Fried)

    Während er es las, begann er zu lächeln, doch dann runzelte er die Stirn. Irgendetwas war nicht richtig. Dann wusste er es. Er nahm den Stift, den er auf den Waschbeckenrand gelegt hatte, wieder auf und strich das (Erich Fried) durch. Anstelle dessen schrieb er (CSA). Nun stimmte es. Kurz überlegte er noch, das Zitat von dieser Debora Marasco, die sich selbst als ein von Gott auserwähltes Werkzeug sah, hinzuzufügen, doch dann ließ er es bleiben.
    › Betet und sühnt, meine Kinder, denn noch nie hat die Macht meines Planes begonnen, sich so deutlich zu zeigen wie heute ‹, hatte einfach perfekt zu seinem Schulranzenpaket gepasst, doch jetzt sagte das Zitat nichts Relevantes mehr aus. Sein Plan war längst durchgeführt, und nun war es auch egal, dass er das falsche Kind erwischt hatte. Sie würden schon wissen, welches er eigentlich gewollt hatte.

    Zufrieden ging er zurück in sein Wohnzimmer und blieb dort stocksteif stehen, um in sich hineinzuhorchen. Genauso stocksteif wie in der Hütte, nachdem sein Gebrüll seinen Verstand wieder angeknipst hatte. In der Hütte hatte er jedoch nicht mehr viel ausrichten können, außer das Linoleum wieder akkurat über die Luke zu legen und dann den schweren Tisch über die Stelle zu schieben. Den einzelnen Stuhl hatte er ebenfalls von seinem angestammten Platz genommen und an den Tisch herangeschoben. Als er die Hütte verlassen hatte, hatte er noch einmal einen letzten Blick hineingeworfen: Wenn er Glück hatte, wurden das falsche Kind und die Frau nie gefunden. Und wenn doch, dann erst, wenn es für sie zu spät war, so hoffte er. Als er jetzt daran dachte, merkte er, wie weit dieses Geschehen schon von ihm weggerückt war. Auch seine Wut war verpufft. Und das war abermals sein eigener Verdienst: Er hatte die Dinge wieder soweit gerichtet, dass er sein Stück nun wie geplant zu Ende bringen konnte. Er war stolz auf sich. So stolz, wie kein anderer es je auf ihn gewesen war. Niemand außer er selbst hatte es gesehen – das Genie in ihm. Nur eines fehlte noch, das sein Plan gestern noch nicht vorgesehen hatte, ihm aber beim Schädelrasieren eingefallen war. Das würde zumindest seinen Fehler mit dem Kind einigermaßen korrigieren. Natürlich nicht ganz, aber es würde doch seinen Willen dazu zeigen. Und letztlich hätte er die Rothaarige dann noch über ihren Tod hinaus insoweit instrumentalisiert, dass er sich frei von allem verabschieden konnte und die anderen verwirren würde – Christofer und Katha …

    Gestern Nacht meinte er
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