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Blutgold

Blutgold

Titel: Blutgold
Autoren: B McGilloway
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eine im Wohnzimmer.«
    Die Frau blickte von einem zum anderen, ihre Augen waren weit
aufgerissen und gerötet, in ihrer Miene spiegelten sich sowohl Angst als auch
Trauer.
    »Bitte haben Sie keine Angst«, sagte ich und kauerte mich vor sie. Ich
zog eines der Flugblätter hervor, die ich hatte machen lassen, und faltete es
so, dass das Bild ihres Mannes zu sehen war. »Ist das Ihr Mann?«
    Sie deutete auf das Bild und sagte etwas zu Karol. Dann wandte sie sich
mir zu und nickte langsam, ehe sie erneut anfing zu schluchzen.
    »Fragen Sie sie, wann sie ihren Mann zuletzt gesehen hat.«
    Die beiden unterhielten sich kurz. »Letzten Freitag«, erläuterte Karol
schließlich. »Er ging aus, um Arbeit zu suchen.«
    »Ich dachte, er arbeitete in einem Imbisswagen«, sagte ich.
    Wieder besprachen sie sich. Währenddessen musterte ich die Frau. Ihre
Haare waren blond und schulterlang, jedoch zu einem Pferdeschwanz
zusammengebunden, der ihre scharf geschnittenen Züge betonte. Einer ihrer Zähne
stand ein wenig vor und biss in die blasse Unterlippe.
    Karol wandte sich wieder an mich. »Er wurde gefeuert. Er hatte mehr
Geld gefordert, also hat sein Chef ihn gefeuert. Er suchte jetzt schon seit
Wochen nach Arbeit.«
    »Wusste sie, dass er eine Bank ausrauben wollte?«, fragte ich.
    Das Wort »Bank« musste sie verstanden haben, denn sie schüttelte
energisch den Kopf und sagte etwas, das klang wie: »Naa ha.« Sie blickte von
Karol zu mir. »Naa … nein, nein«, sagte sie und blinzelte, um die Tränen
zurückzudrängen. Ich wusste nicht recht, ob sie nun auf meine Frage geantwortet
oder einfach nur die Unschuld ihres Mannes beteuert hatte.
    »Sagen Sie ihr, es tut mir leid, aber sie muss ihren Mann für uns
identifizieren«, bat ich Karol. Die weitere Befragung konnte man auch auf der
Wache vornehmen, wenn sie Zeit gehabt hatte, ein wenig um ihren Mann zu
trauern. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, wo eine solche Befragung
hinführen sollte – die Lebensumstände des Mannes waren desperat gewesen, er war
arbeitslos gewesen, und er hatte sogar das Pech gehabt, ausgerechnet an dem Tag
eine Bank zu überfallen, an dem die halbe irische Armee davor stand.
    »Es tut mir leid, Mrs Almurzayev«, sagte ich und sah ihr in die Augen.
»Es tut mir sehr leid.«
    Flüchtig legte ich meine Hand auf ihre. Sie war kalt, die Haut hell und
schwielig. Mrs Almurzayev sah mich an, dann entzog sie mir ihre Hand.
    Auf
dem Weg zur Identifizierung der Leiche im Letterkenny General Hospital sprachen
Karol und ich über die mutmaßlichen Schicksale der Immigranten, die ich im Haus
gesehen hatte. Mrs Almurzayev saß auf dem Rücksitz meines Wagens und sah aus
dem Fenster.
    »Ich bin
froh, dass Sie sich bei mir gemeldet haben«, sagte ich. »Ich hätte keinen
anderen gefunden, der Tschetschenisch spricht.«
    »2005 kamen viele Flüchtlinge nach Polen. Ich habe sechs Monate lang
als Freiwilliger im Lager von Ärzte ohne Grenzen in Warschau gearbeitet«,
erklärte er. »Da muss man schnell lernen.«
    »Das glaube ich gern«, sagte ich.
    Wir
standen neben Natalia Almurzayev, während sie den Toten betrachtete. Sie hielt
seine Hand in ihrer und ließ den Angestellten im Kühlraum erst dann das grüne
Tuch wieder über das Gesicht ihres Mannes ziehen, als sie ihn auf die Stirn
geküsst hatte. Zärtlich hielt sie seinen Kopf und rieb mit dem Daumen über das
ergrauende Haar der Koteletten, während sie ihm Worte zuflüsterte, die man
nicht zu übersetzen brauchte.
    Hinterher
setzten Karol und Natalia sich in die Cafeteria, und ich holte uns drei Kaffee.
Als ich wieder zu ihnen kam, waren sie ins Gespräch vertieft. Sie waren ein
ungleiches Paar – er im Anzug, sie in Jeans und Kapuzenoberteil.
    »Sie hatte keine Ahnung, dass ihr Mann eine Bank ausrauben wollte,
Inspektor«, sagte er, als ich mich setzte. »Sie dachte, er wollte sich Arbeit
suchen.«
    »Wie lange sind die beiden schon hier?«, fragte ich.
    »Fünf Monate«, antwortete er, ohne sie zu fragen. Offenbar hatte er
bereits einige Hintergrundinformationen in Erfahrung gebracht, während ich den
Kaffee geholt hatte.
    »Wo hatte ihr Mann den gefälschten Führerschein her?«, fragte ich.
Karol übersetzte die Frage. Obwohl sie scheinbar verwirrt die Achseln zuckte,
war klar, dass sie wusste, wovon ich sprach.
    »Sie weiß nichts von einem Führerschein«, sagte Karol.
    Ich holte den Führerschein, der sich immer noch in einem
Beweismittelbeutel befand, aus der Tasche und legte ihn auf den
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