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Blutgold

Blutgold

Titel: Blutgold
Autoren: B McGilloway
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geben.
    Am Nachmittag fuhr ich wieder hinaus zu Orcas, um nachzusehen, wie die
Angelegenheit mit der Moorleiche vorankam. Von den tags zuvor so zahlreichen
Polizisten vor Ort war nur einer geblieben, der am Eingang der Mine in seinem
Wagen saß, die Füße auf dem Armaturenbrett und die Mütze ins Gesicht gezogen;
neben ihm lag ein unvollständig gelöstes Kreuzworträtsel. Ich hupte so lange,
bis er aufwachte, dann winkte ich ihm zu und fuhr auf das Gelände zum Fundort.
Man hatte eine blaue Plane darüber aufgespannt, um die Moorleiche vor der
Witterung zu schützen.
    Eine Paläopathologin vom National Museum in Dublin war gerade
konzentriert bei der Arbeit. Sie trug den weißen Schutzanzug der
Spurensicherungsleute, allerdings wohl ebenso sehr, um sich selbst nicht zu
beschmutzen, wie um die Kontaminierung des Fundes gering zu halten. Sie stand
in der Grube über die Leiche gebeugt und bürstete mit einem dicken Pinsel
behutsam Erde von der Beinmuskulatur.
    Mittlerweile war die Leiche vollständig freigelegt. Die Gestalt war
erkennbar weiblich, allerdings waren die Brüste nur noch fest an den Brustkorb
gepresste Hautlappen. Ihre Haare waren kurz geschnitten, die Schultern
hochgezogen, sodass sie den Unterkiefer berührten. Die Arme lagen seitlich am
Körper an, die Muskulatur war geschwunden.
    Als ich mich dem Fundort näherte, stand die Wissenschaftlerin auf und
kam mit ausgestreckter Hand auf mich zu. Sie nahm den Mundschutz ab und stellte
sich als Linda Campbell vor. Sie strich sich den Pony aus dem Gesicht und
blinzelte, weil sie in die Sonne sehen musste.
    »Wie kommen Sie voran?«, fragte ich.
    Sie lächelte begeistert. »Hervorragend. Die Leiche ist so gut
konserviert.« Obwohl sie aus Dublin kam, hörte ich einen leichten nordirischen
Akzent heraus.
    »Eine Frau, wie ich sehe«, sagte ich und deutete auf die Moorleiche.
    »Ja.« Sie drehte sich um und blickte mit einem beinahe bewundernden
Gesichtsausdruck auf die Leiche. »Ist sie nicht wunderschön?«
    »Sie ist eigentlich nicht mein Typ.«
    »Sie ist ein ziemlich spektakulärer Fund«, fuhr Linda Campbell lächelnd
fort. »Das Moor hier hat sie perfekt konserviert.«
    »Wie das?«, fragte ich, denn ich merkte, dass sie es mir gerne erklären
wollte.
    »Das Wasser in Mooren enthält viel organische Säuren und Aldehyde, die
beinahe wie Einbalsamierungsflüssigkeit wirken. Die Leiche altert, ohne sich
jemals zu zersetzen; die Haut wird zäh wie gegerbtes Leder. Es ist wirklich ein
ziemlich großartiger Fund. Und Frauen findet man sehr selten. Die meisten
Moorleichen sind Männer.«
    »Das wusste ich nicht«, sagte ich. »Irgendeine Idee, wie sie gestorben
ist? Oder wann?«
    »Über das Wann kann ich eigentlich noch nichts sagen. Wahrscheinlich in
der Eisenzeit, aber dafür muss ich sie ins Labor bringen. Das Wie ist einfach,
ich zeige es Ihnen.«
    Ich folgte ihr unter die Plane, und sie ließ sich behutsam in die Grube
hinunter, in der die Leiche lag. Ich kniete am Rand nieder und sah zu ihr
hinab.
    Mit einem kleinen Metallstab zupfte Linda behutsam an etwas, das um den
Hals der Leiche lag. Als ich genauer hinsah, erkannte ich eine Art Schnur, die
um den Hals gebunden und hinten um ein Stück Holz geschlungen war.
    »Ist das eine Garrotte?«, fragte ich.
    »Ja.« Sie lächelte und blies sich eine Strähne aus dem Gesicht.
    »Sie wurde also ermordet?«
    »Hingerichtet«, korrigierte sie mich. »Oder geopfert.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Wenn Sie aus der Eisenzeit stammt, hätte sie eigentlich verbrannt
werden müssen. Soweit wir wissen, wurden die Menschen damals nur begraben, wenn
sie sehr wichtig oder geopfert worden waren.«
    »Warum hätte man sie opfern sollen?«, fragte ich.
    »Jedes Jahr wurde einem der Götter jemand geopfert. Dem Gott des Moors,
dem Gott der Ernte, dem Gott des Frühlings. Ähnlich wie bei den alten Griechen
und Römern. Es gab unterschiedliche Götter für verschiedene Anliegen. Manche
Verbrecher wurden nicht hingerichtet, sondern geopfert und dann hinterher
begraben, anstatt verbrannt zu werden. Das muss für die Frau eine ziemliche
Ehre gewesen sein, könnte ich mir vorstellen.«
    »Ich könnte mir eher vorstellen, dass sie ziemlich abgetörnt war.«
    »Das Wohlergehen der ganzen Gemeinschaft hing von ihrem Opfer ab,
Inspektor«, sagte Linda in ernstem Ton. »Damit wären ihr und ihrer Familie ihre
Verbrechen vergeben, egal welche.«
    »Verstehe.« Ich bedauerte, dass ich sie offenbar vor den Kopf gestoßen
hatte. »Aber
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