Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
er sich selbst setzte. Sein locker hängendes Hemd konnte im Sitzen den Bauch nicht mehr kaschieren.
»Jeder hatte seine Praxis. Aber wir haben uns die Räume und administrative Dienste wie die Sekretärin, die Vermittlung und so weiter geteilt. Ich habe sie angerufen. Sie war stinksauer, aber ich habe auch nicht so starke Argumente vorgebracht wie Sie: Welhaven und der Staatsanwaltschaft einen Dienst erweisen. Ich bin gespannt, was passiert, wenn Sie ihr das servieren.« Paust grinste schief und warf seine Haartolle zurück. Er ging auf die sechzig zu, hatte hängende Wangen und Ringe unter den Augen. Unter dem ziemlich langen Haar wirkte das Gesicht wie ein verwitterter Terrakottatopf unter einer welken Zimmerpflanze.
»Haben Sie Welhaven in den letzten Tagen gesehen?«
»Nicht seit Anfang letzter Woche.«
»Irgendeine Idee, wo er sich aufhalten könnte?«
»Keine Ahnung. Wir haben außerhalb der Bürogemeinschaft wenig Kontakt. Als seine Tochter anrief, habe ich gedacht, dass er wohl auf Reisen ist.«
»Könnte das sein? Dass er verreist ist?«
»Ohne ihr etwas zu sagen? Das bezweifle ich.«
»Die beiden sind ja sozusagen allein miteinander – oder?«
»Wie gesagt, wir wissen nicht sonderlich viel voneinander.«
»Wie hat er den Verlust seines Sohnes verkraftet?«
»Das war natürlich ein Schlag.« Als Frølich weiterfragen wollte, fügte er hinzu: »Aber – ich bin eigentlich nicht der Richtige, um über sein Privatleben zu sprechen. Wir hatten selten oder nie privat miteinander zu tun – wenn ich es mal so ausdrücken darf.«
»Aber Sie werden mir doch sagen können, ob er seit längerer Zeit traurig war oder –«
»Das nehme ich an – aber Arne lässt selten jemanden an sich heran.«
»Er soll bedroht worden sein. Wissen Sie davon?«
Paust klappte den Mund zu und dachte nach, bevor er antwortete: »In dieser Branche trifft man ab und zu auf instabile Menschen, Klienten, die eigentlich einen Therapeuten suchen oder brauchen. Aber das gehört ganz einfach zu diesem Job.«
Frølich räusperte sich. »Ich meine ganz konkrete Drohungen.«
Paust richtete seinen Blick einen Moment lang auf einen Punkt an der Decke und sagte dann: »Ich weiß auf jeden Fall, dass er mit einem Klienten einen Konflikt hatte, aber Herrgott noch mal, das ist verdammt lange her – ein Typ mit einer Unfallverletzung. Es war eine Schadenersatzklage, die nicht so gut gelaufen ist. Hinterher hat die Familie behauptet, Arne hätte ein unangemessen hohes Honorar von ihnen gefordert. Irgend so etwas.«
»War an diesen Anklagen etwas dran?«
»Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen«, sagte Paust steif.
»Welhaven soll mehrmals als Konkursverwalter tätig gewesen sein.«
»Das stimmt wohl. Das mache ich selbst auch.«
Frank Frølich musste sich erneut räuspern. »Ich denke, dass ein Konkursverwalter doch sicherlich leicht in die Kritik gerät, vor allem bei Leuten, die viel zu verlieren haben …«
»Ein Konkursverwalter ist nur ein Makler, ein Dirigent.«
»Der sich gut bezahlen lässt.«
Jetzt beschloss Paust, den Polizisten direkt anzuschauen. »Manche Kreditoren haben Arne sicherlich vorgeworfen, sie mit seinen Honorarforderungen völlig zu ruinieren. Solche Vorwürfe sind ganz gewöhnlich bei Konkursverfahren, aber sie sind auch vollkommen aus der Luft gegriffen.«
»Kennen Sie Namen von solchen Kreditoren?«
»Nein.« Paust hob einen Finger, um den Polizisten zum Schweigen zu bringen. Sie hörten, wie irgendwo auf der Etage ein Schlüssel in einem Schloss herumgedreht wurde. »Da kommt Lisa, fragen Sie sie. Sie kann Ihnen sicher Kopien von den Akten geben, die für Sie interessant sein könnten. Sie werden allerdings nicht viel Interessantes finden. Es sind hauptsächlich Pommes-Buden und Maschinenbaubetriebe, lauter ungelernte Legastheniker, die nicht die blasseste Ahnung von Buchhaltung haben. Einen Konkurs abzuwickeln ist ein in vieler Hinsicht anstrengender Job.«
»Kennen Sie Namen von Leuten, die behauptet haben, dass Welhaven sich unrechtmäßig an solchen Konkursen bereichert hätte?«
»Ich weiß, dass Leute so was behauptet haben, ja. Aber ich habe keine Ahnung, wer das war.«
»Wissen Sie von anderen Drohungen, die in diesem Zusammenhang relevant sein könnten?«
Paust holte tief Luft, legte die Unterarme auf den Tisch und dachte noch einmal nach. »Ich persönlich glaube, dass Sie damit auf dem Holzweg sind. Jedenfalls in Fällen, wo Arne der Konkursverwalter war. Aber wenn wir nun schon
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