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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide
Autoren: Qiu Xiaolong
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wurde. Sein Gesicht lief erst rot an, dann wurde er leichenblaß und begann zu taumeln.
    Tiefe Stille senkte sich über den Gerichtssaal.
    »Keine Sorge. Ich kenne das«, stieß Jia noch hervor, bevor er zusammenbrach.
    »Ist er krank?« fragte Yu, wobei sein Gesichtsausdruck mehr als nur Überraschung zeigte.
    Chen schüttelte den Kopf. Das war keineswegs ein altes Leiden. Etwas Furchtbares war hier im Gange. Plötzlich drängte sich ihm ein Gedanke auf, den er zuvor offenbar weggeschoben hatte.
    Es gäbe nur einen Ausweg für Jia, aber doch nicht jetzt, nicht hier, nicht so.
    Da drehte Jia sich zu ihm um, machte eine Geste in seine Richtung.
    Chen sprang auf, nahm die Brille ab und hielt den Sicherheitsbeamten, die auf ihn zustürzten, seine Dienstmarke hin.
    Einer der Journalisten hatte ihn erkannt: »Oberinspektor Chen Cao!«
    Chen eilte zu dem am Boden liegenden Jia, während die Zuschauer wie gelähmt auf ihren Plätzen saßen. Der Richter kam hinter seinem Tisch hervor, blieb kurz stehen und zog sich dann mit den beiden Gerichtsdienern in das Amtszimmer zurück; sie erweckten den Eindruck, als verließen sie hastig einen Tatort. Sonst rührte sich niemand von der Stelle. Jia begann zu sprechen, doch seine Stimme war nur noch für den Oberinspektor zu vernehmen.
    »Das Ende kommt rascher, als ich dachte, aber es macht nichts, wenn ich mein Plädoyer nicht mehr zu Ende führen kann. Was man nicht sagen kann, darüber muß man schweigen «, sagte Jia und zog einen Umschlag aus seiner Jackettasche. »Hier sind Schecks für ihre Familien. Alle unterschrieben. Tun Sie mir den Gefallen, sie zu überbringen.«
    »Ihre Familien?« Chen nahm den Umschlag an sich.
    »Ja, ich habe Wort gehalten, so gut ich konnte, Oberinspektor Chen. Und ich weiß, Sie werden das auch tun.«
    »Ja, aber …«
    »Danke«, sagte Jia mit wächsernem Lächeln. »Ich weiß zu schätzen, was Sie für mich getan haben, glauben Sie mir.«
    Daran zweifelte Chen nicht. Jia mußte müde sein nach all den Jahren des einsamen, vergeblichen Kampfes. Chen hatte ihm die Möglichkeit eröffnet, dem ein Ende zu setzen.
    »Sie hat mich geliebt. Jetzt weiß ich es. Sie hat das alles nur für mich getan«, sagte Jia mit einem eigentümlichen Leuchten in den Augen. »Sie haben mir die Welt zurückgebracht. Ich danke Ihnen, Chen.«
    Chen nahm Jias Hand, die sich eiskalt anfühlte.
    »Sie lieben Poesie«, brachte Jia noch heraus. »In dem Umschlag ist ein Gedicht für Sie. Nehmen Sie es als Zeichen meiner Dankbarkeit.«
    Damit schloß er die Augen und verstummte. Es gab nichts mehr zu sagen.
    Chen griff zu seinem Mobiltelefon, um einen Krankenwagen zu rufen. Vermutlich war es ohnehin zu spät, aber der Öffentlichkeit gegenüber war er zu dieser Geste verpflichtet.
    Der ganze Prozeß war nur eine Geste, eine, zu der sich die Regierung bemüßigt gefühlt hatte.
    Sein Telefon funktionierte nicht. Er bekam kein Signal. Auch gut, dachte Chen fast ein wenig erleichtert.
    Doch offenbar hatten andere das Telefonat bereits erledigt. Sanitäter bahnten sich einen Weg durch die Menge und stießen Chen von dem am Boden liegenden Mann weg.
    »Ich habe Wort gehalten …« Chen erhob sich und dachte an Jias letzte Worte, während der Anwalt auf einer Bahre hinausgetragen wurde.
    Er brauchte den Umschlag nicht zu öffnen. Die unterschriebenen Schecks waren ein hinreichendes Schuldeingeständnis, zumal sie ihm in Anwesenheit so vieler Menschen in einem Gerichtssaal übergeben worden waren.
    Yu trat mit einem Mobiltelefon in der Hand an seine Seite. Er mußte mit den anderen Beamten gesprochen, sie zurückgehalten haben. Es war ein bizarres Ende, nicht nur für den Prozeß in Sachen Wohnungsbauskandal, sondern auch für den Fall der qipao -Morde.
    Mittlerweile glich der Gerichtssaal einem brodelnden Kessel.
    Chen reichte Yu den Umschlag, der die Schecks mit ungläubigem Staunen in Augenschein nahm.
    »Für die Familien der Mordopfer, auch für Hongs Familie«, stammelte er. »Er muß genaue Nachforschungen angestellt haben. Die unterschriebenen Schecks kommen einem Geständnis gleich. Damit können wir den Fall abschließen.«
    Chen antwortete nicht sofort. Ihm war keineswegs klar, wie er den Fall abschließen sollte.
    »Er hat eigenhändig unterschrieben«, sagte Yu mit Nachdruck. »Das dürfte doch genügen.«
    »Ich denke, ja.«
    »Irgendein Kommentar, Genosse Oberinspektor Chen?« rief einer der Reporter, während er versuchte, sich am Sicherheitspersonal
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