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Blut und rote Seide

Blut und rote Seide

Titel: Blut und rote Seide
Autoren: Qiu Xiaolong
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bekannt für russische Küche und russische Mädchen.
    »Wo treibst du dich rum, alter Junge?«
    »Im Volkspark, mit einer Freßschachtel. Hab mir diese Woche freigenommen, um ein Referat für den Literaturkurs zu schreiben.«
    »Du machst wohl Witze – ein Literaturkurs inmitten deiner steilen Karriere?« rief Lu erstaunt. »Wenn du unbedingt den Polizeidienst quittieren willst, dann steig lieber bei mir als Partner ein, wie ich es dir schon hundertmal vorgeschlagen habe. Die Gäste werden uns die Türen einrennen bei deinen Kontakten.«
    Doch Chen wußte es besser. Diese Kontakte hingen mit seiner Stellung als Polizeibeamter zusammen. Sobald er die aufgäbe, würde er viele seiner sogenannten Freunde nie wiedersehen. Da er Lus Angebot ohnehin nie annehmen würde, ging er auch nicht weiter darauf ein.
    »Komm ins Moskow Suburb«, fuhr Lu unbekümmert fort. »Meine russischen Bedienungen tragen jetzt alle qipao . Sieht scharf aus. Der Kontrast der westlichen Gesichter zu den chinesischen Kleidern ist befremdlich, aber gleichzeitig so geheimnisvoll und erregend, daß die Kunden die Mädchen mit den Augen verschlingen.«
    »Die blanke Exotik.«
    Für einen Unternehmer wie Lu war es normal, daß er jede Chance zur Gewinnsteigerung nutzte, ohne dabei einen Gedanken an Ästhetik oder gar Ethik zu verschwenden.
    »Deine Freßschachtel ist, egal, was drin ist, mit Sicherheit ungenießbar, eine Beleidigung für einen erklärten Gourmet wie dich. Du mußt einfach kommen …«
    »Das werde ich, Lu«, sagte Chen und schnitt ihm das Wort ab. »Aber jetzt muß ich zurück in die Bibliothek. Dort wartet jemand auf mich.«
    In Wirklichkeit war es sein Mittagessen, das auf ihn wartete und langsam kalt wurde.
    Doch bevor er seine Lunchbox aufklappen konnte, schrillte schon wieder das Telefon. Er hätte es während seiner Mittagspause besser ausgeschaltet lassen sollen. Es war Hong, die junge Polizistin, die als Liaos Assistentin in der Mordkommission arbeitete.
    »Hong, was für eine Überraschung.«
    »Entschuldigen Sie die Störung, Oberinspektor Chen. Ich habe Ihre Mobilnummer von Hauptwachtmeister Yu. Zu Hause konnte ich Sie nicht erreichen.«
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.«
    »Ich soll Ihnen Bericht erstatten.«
    »Aber ich habe Urlaub, Hong.«
    »Es ist aber wichtig. Sowohl Parteisekretär Li als auch Inspektor Liao haben mir aufgetragen, Sie anzurufen.«
    »Wenn das so ist«, murmelte er resigniert. In Lis politischer Mühle wurde alles gleich zur Staatsaffäre; und Liaos Aufforderung, ihn anzurufen, war wohl eher eine respektvolle Geste.
    »Wo sind Sie denn, Oberinspektor Chen? Ich könnte jetzt gleich zu Ihnen kommen.«
    Es mußte sich tatsächlich um etwas Brisantes handeln, etwas, das man besser nicht am Telefon besprach. Dazu wäre die Bibliothek nicht der geeignete Ort.
    »Treffen Sie mich im Volkspark, beim Haupteingang.«
    »Sie genießen wohl Ihre Ferien. Volkspark. Was für ein Zufall!«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Am frühen Morgen hat man dort eine zweite Leiche im roten qipao gefunden. Vor dem Zeitungsschaukasten beim Eingang Nummer Eins.« Dann fügte sie noch hinzu: »Übrigens ist Hauptwachtmeister Yu auch hinzugezogen worden.«
    »Ein Serienmord!« Chen erinnerte sich, am Morgen eine Menschenmenge bemerkt zu haben, der er aber keine weitere Beachtung geschenkt hatte. Es kam öfter vor, daß sich Lesende dort versammelten.
    »Deswegen rufe ich an. Sie haben mich vorgeschickt, weil sie meinten, einer jungen Frau würde der Oberinspektor nichts abschlagen können.«
    Die Anfrage hätte, was seine Seminararbeit betraf, zu keiner ungünstigeren Zeit kommen können. Doch er mußte reagieren. Es war der erste Serienmord für die Stadt, für das Präsidium. Zumindest mußte er sich kooperativ zeigen.
    »Bringen Sie alle Informationen mit, die Sie bislang haben, Hong. Ich werde sie mir heute abend durchsehen.«
    »Bin schon unterwegs.«
    Er hatte seine Styroporschachtel nicht angerührt; der Inhalt war mittlerweile kalt, und er warf sie in einen Abfalleimer. Dann ging er zum Eingang Nummer Eins. Dabei versuchte er, sich die Szene von heute morgen ins Gedächtnis zu rufen.
    Der Zeitungsschaukasten lag an der Kreuzung Nanjing und Xizhuang Lu, wo man nicht am Straßenrand parken durfte. Jeder dort abgestellte Wagen wäre sofort aufgefallen, und die Polizei war die ganze Nacht hindurch unterwegs.
    Der Mörder mußte alles minutiös geplant haben, überlegte Chen.
    Heute morgen waren viele Leute dort
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