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Blumfeld, ein älterer Junggeselle

Blumfeld, ein älterer Junggeselle

Titel: Blumfeld, ein älterer Junggeselle
Autoren: Franz Kafka
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Pfeifen zu
    holen, die dort in einem Gestell hängen. Unwillkürlich schlägt
    er, ehe er sich umdreht, mit einem Fuß nach hinten aus, die Bälle
    aber verstehen es auszuweichen und werden nicht getroffen. Als
    er nun um die Pfeife geht, schließen sich ihm die Bälle gleich
    an, er schlurft mit den Pantoffeln, macht unregelmäßige Schritte,
    aber doch folgt jedem Auftreten fast ohne Pause ein Aufschlag
    der Bälle, sie halten mit ihm Schritt. Blumfeld dreht sich uner-
    wartet um, um zu sehn, wie die Bälle das zustande bringen. Aber
    kaum hat er sich umgedreht, beschreiben die Bälle einen Halb-
    kreis und sind schon wieder hinter ihm und das wiederholt sich,
    sooft er sich umdreht. Wie untergeordnete Begleiter suchen sie
    es zu vermeiden, vor Blumfeld sich aufzuhalten. Bis jetzt haben
    sie es scheinbar nur gewagt, um sich ihm vorzustellen, jetzt aber
    haben sie bereits ihren Dienst angetreten.
    Bisher hat Blumfeld immer in allen Ausnahmsfällen, wo sei-
    ne Kraft nicht hinreichte, um die Lage zu beherrschen, das Aus-
    hilfsmittel gewählt, so zu tun, als bemerke er nichts. Es hat oft
    geholfen und meistens die Lage wenigstens verbessert. Er verhält
    sich also auch jetzt so, steht vor dem Pfeifengestell, wählt mit
    aufgestülpten Lippen eine Pfeife, stopft sie besonders gründlich
    aus dem bereitgestellten Tabaksbeutel und läßt unbekümmert
    hinter sich die Bälle ihre Sprünge machen. Nur zum Tisch zu
    gehn zögert er, den Gleichtakt der Sprünge und seiner eigenen
    Schritte zu hören, schmerzt ihn fast. So steht er, stopft die Pfei-
    fe unnötig lange und prüft die Entfernung, die ihn vom Tische
    trennt. Endlich aber überwindet er seine Schwäche und legt die
    Strecke unter solchem Fußstampfen zurück, daß er die Bälle gar
    nicht hört. Als er sitzt, springen sie allerdings hinter seinem Ses-
    sel wieder vernehmlich wie früher.
    Über dem Tisch ist in Griffnähe an der Wand ein Brett an-
    gebracht, auf dem die Flasche mit dem Kirschenschnaps von
    kleinen Gläschen umgeben steht. Neben ihr liegt ein Stoß von
    Heften der französischen Zeitschrift. (Gerade heute ist ein neu-
    es Heft gekommen und Blumfeld holt es herunter. Den Schnaps
    vergißt er ganz, er hat selbst das Gefühl, als ob er heute nur aus
    Trost an seinen gewöhnlichen Beschäftigungen sich nicht hin-
    dern ließe, auch ein wirkliches Bedürfnis zu lesen hat er nicht. Er
    schlägt das Heft, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, Blatt
    für Blatt sorgfältig zu wenden, an einer beliebigen Stelle auf und
    findet dort ein großes Bild. Er zwingt sich, es genauer anzusehn.
    Es stellt die Begegnung zwischen dem Kaiser von Rußland und
    dem Präsidenten von Frankreich dar. Sie findet auf einem Schiff
    statt. Ringsherum bis in die Ferne sind noch viele andere Schiffe,
    der Rauch ihrer Schornsteine verflüchtigt sich im hellen Himmel.
    Beide, der Kaiser und der Präsident, sind eben in langen Schritten
    einander entgegengeeilt und fassen einander gerade bei der Hand.
    Hinter dem Kaiser wie hinter dem Präsidenten stehen je zwei
    Herren. Gegenüber den freudigen Gesichtern des Kaisers und des
    Präsidenten sind die Gesichter der Begleiter sehr ernst, die Blicke
    jeder Begleitgruppe vereinigen sich auf ihren Herrscher. Tiefer
    unten, der Vorgang spielt sich offenbar auf dem höchsten Deck
    des Schiffes ab, stehen vom Bildrand abgeschnitten lange Rei-
    hen salutierender Matrosen. Blumfeld betrachtet allmählich das
    Bild mit mehr Teilnahme, hält es dann ein wenig entfernt und
    sieht es so mit blinzelnden Augen an. Er hat immer viel Sinn für
    solche großartige Szenen gehabt. Daß die Hauptpersonen so un-
    befangen, herzlich und leichtsinnig einander die Hände drücken,
    findet er sehr wahrheitsgetreu. Und ebenso richtig ist es, daß die
    Begleiter — übrigens natürlich sehr hohe Herren, deren Namen
    unten verzeichnet sind — in ihrer Haltung den Ernst des histori-
    schen Augenblicks wahren.)
    Und statt alles, was er benötigt, herunterzuholen, sitzt Blum-
    feld still und blickt in den noch immer nicht entzündeten Pfeifen-
    kopf. Er ist auf der Lauer, plötzlich, ganz unerwartet weicht sein
    Erstarren und er dreht sich in einem Ruck mit dem Sessel um.
    Aber auch die Bälle sind entsprechend wachsam oder folgen ge-
    dankenlos dem sie beherrschenden Gesetz, gleichzeitig mit Blum-
    felds Umdrehung verändern auch sie ihren Ort und verbergen
    sich hinter seinem Rücken. Nun sitzt Blumfeld mit dem Rücken
    zum Tisch, die kalte Pfeife in der Hand.
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