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Blumfeld, ein älterer Junggeselle

Blumfeld, ein älterer Junggeselle

Titel: Blumfeld, ein älterer Junggeselle
Autoren: Franz Kafka
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wenigstens
    eine halbe Stunde vor Bureaubeginn erscheint, — nicht Stre-
    berei, nicht übertriebenes Pflichtbewußtsein, nur ein gewisses
    Gefühl für Anstand veranlaßt ihn dazu, — Blumfeld muß auf
    seine Praktikanten meist länger als eine Stunde warten. Die
    Frühstücksemmel kauend steht er gewöhnlich hinter dem Pult
    im Saal und führt die Rechnungsabschlüsse in den kleinen Bü-
    chern der Näherinnen durch. Bald vertieft er sich in die Arbeit
    und denkt an nichts anderes. Da wird er plötzlich so erschreckt,
    daß ihm noch ein Weilchen danach die Feder in den Händen
    zittert. Der eine Praktikant ist hereingestürmt, es ist, als wolle
    er umfallen, mit einer Hand hält er sich irgendwo fest, mit der
    anderen drückt er die schwer atmende Brust — aber das Gan-
    ze bedeutet nichts weiter, als daß er wegen seines Zuspätkom-
    mens eine Entschuldigung vorbringt, die so lächerlich ist, daß
    sie Blumfeld absichtlich überhört, denn täte er es nicht, müßte
    er den Jungen verdienterweise prügeln. So aber sieht er ihn nur
    ein Weilchen an, zeigt dann mit ausgestreckter Hand auf den
    Verschlag und wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Nun dürfte
    man doch erwarten, daß der Praktikant die Güte des Vorgesetz-
    ten einsieht und zu seinem Standort eilt. Nein, er eilt nicht, er
    tänzelt, er geht auf den Fußspitzen, jetzt Fuß vor Fuß. Will er
    seinen Vorgesetzten verlachen? Auch das nicht. Es ist nur wie-
    der diese Mischung von Furcht und Selbstzufriedenheit, gegen
    die man wehrlos ist. Wie wäre es denn sonst zu erklären, daß
    Blumfeld heute, wo er doch selbst ungewöhnlich spät ins Bureau
    gekommen ist, jetzt nach langem Warten — zum Nachprüfen der
    Büchlein hat er keine Lust — durch die Staubwolken, die der un-
    vernünftige Diener vor ihm mit dem Besen in die Höhe treibt, auf
    der Gasse die beiden Praktikanten erblickt, wie sie friedlich da-
    herkommen. Sie halten sich fest umschlungen und scheinen ein-
    ander wichtige Dinge zu erzählen, die aber gewiß mit dem Ge-
    schäft höchstens in einem unerlaubten Zusammenhange stehn.
    Je näher sie der Glastür kommen, desto mehr verlangsamen sie
    ihre Schritte. Endlich erfaßt der eine schon die Klinke, drückt
    sie aber nicht nieder, noch immer erzählen sie einander, hören
    zu und lachen. »Öffne doch unseren Herren«, schreit Blumfeld
    mit erhobenen Händen den Diener an. Aber als die Praktikan-
    ten eintreten, will Blumfeld nicht mehr zanken, antwortet auf
    ihren Gruß nicht und geht zu seinem Schreibtisch. Er beginnt zu
    rechnen, blickt aber manchmal auf, um zu sehn, was die Prakti-
    kanten machen. Der eine scheint sehr müde zu sein und reibt die
    Augen; als er seinen Überrock an den Nagel gehängt hat, benützt
    er die Gelegenheit und bleibt noch ein wenig an der Wand leh-
    nen, auf der Gasse war er frisch, aber die Nähe der Arbeit macht
    ihn müde. Der andere Praktikant dagegen hat Lust zur Arbeit,
    aber nur zu mancher. So ist es seit jeher sein Wunsch, auskehren
    zu dürfen. Nun ist das aber eine Arbeit, die ihm nicht gebührt,
    das Auskehren steht nur dem Diener zu; an und für sich hätte
    ja Blumfeld nichts dagegen, daß der Praktikant auskehrt, mag
    der Praktikant auskehren, schlechter als der Diener kann man es
    nicht machen, wenn aber der Praktikant auskehren will, dann
    soll er eben früher kommen, ehe der Diener zu kehren beginnt,
    und soll nicht die Zeit dazu verwenden, während er ausschließ-
    lich zu Bureauarbeiten verpflichtet ist. Wenn nun aber schon der
    kleine Junge jeder vernünftigen Überlegung unzugänglich ist, so
    könnte doch wenigstens der Diener, dieser halbblinde Greis, den
    der Chef gewiß in keiner andern Abteilung als in der Blumfelds
    dulden würde und der nur noch von Gottes und des Chefs Gna-
    den lebt, so könnte doch wenigstens dieser Diener nachgiebig
    sein und für einen Augenblick den Besen dem Jungen überlas-
    sen, der doch ungeschickt ist, gleich die Lust am Kehren verlieren
    und dem Diener mit dem Besen nachlaufen wird, um ihn wieder
    zum Kehren zu bewegen. Nun scheint aber der Diener gerade
    für das Kehren sich besonders verantwortlich zu fühlen, man
    sieht wie er, kaum daß sich ihm der Junge nähert, den Besen
    mit den zitternden Händen besser zu fassen sucht, lieber steht
    er still und läßt das Kehren, um nur alle Aufmerksamkeit auf
    den Besitz des Besens richten zu können. Der Praktikant bittet
    nun nicht durch Worte, denn er fürchtet doch Blumfeld, wel-
    cher scheinbar rechnet,
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