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Blow Out (German Edition)

Blow Out (German Edition)

Titel: Blow Out (German Edition)
Autoren: Uwe Laub
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Holyfields Gesicht leuchtete wie immer puterrot. Kleine Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn, als käme er frisch aus der Sauna, und seine gegelte Igelfrisur stand in alle Richtungen ab.
    »Ich habe heute wirklich eine Menge zu erledigen. Lass uns morgen quatschen, okay?«
    »Macht der Alte wieder Stress?« Damit war Leland Franklin gemeint, Emmas direkter Vorgesetzter und ganz nebenbei auch noch Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika.
    »Ich bin Franklins rechte Hand. Wenn mich hier im Office jemand stresst, dann ist es für gewöhnlich er.« Sie funkelte ihn an. »Oder es bist du.«
    Tom Holyfields Gesichtszüge entgleisten. Er sah aus, als hätten ihm seine Eltern soeben eröffnet, er sei adoptiert.
    Sofort bedauerte sie ihre Worte. »Tut mir leid. Ich habe es nicht so gemeint. Es ist nur so«, sie suchte nach der passenden Formulierung, »Franklin und ich sind gestern ziemlich heftig aneinandergeraten.«
    »Ehrlich? Ich dachte, er hält so große Stücke auf dich.«
    »Bis gestern dachte ich das auch.«
    »Jeder weiß, wie sehr der Alte dich schätzt. Fast könnte man meinen, er steht auf dich.«
    »Pass auf, was du sagst«, fuhr sie ihn an. »Franklin hat mir diesen Posten übertragen, weil ich was auf dem Kasten habe, und nicht, weil er scharf auf mich ist, kapiert?«
    »Ja, ja, schon klar. Aber du weißt schon, dass hier viele so denken.«
    »Mir ist herzlich egal, was irgendjemand hier denkt.«
    »Menschenskind, bist du heute mies drauf. Jetzt erzähl schon.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nicht der Rede wert. Außerdem ist es vertraulich.«
    »Für etwas, das nicht der Rede wert ist, bist du ganz schön gereizt.«
    »Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit, was meinen Aufgabenbereich betrifft.«
    »Aha.« Gespannt wartete er auf weitere Enthüllungen. So leicht würde er sich nicht abspeisen lassen. Typisch Tom. Sie überlegte, wie viel sie ihm von ihrem Streit mit Franklin erzählen konnte.
    »Gegen Mittag rief er mich zu sich. Ich dachte zuerst, er will mit mir die Rede anlässlich der morgigen Neueröffnung des Deutsch-Amerikanischen Zentrums in Dresden durchgehen. Stattdessen hat er mir eine beschissene Strafarbeit aufgehalst.«
    »Strafarbeit?«
    »Ja, nur dass er es nicht so nennt.«
    »Was sollst du denn tun?«
    »Sieh mal, Tom, ich wurde als politische Beobachterin angestellt, nicht als Archivkraft. Alles muss ich mir ganz bestimmt nicht bieten lassen. Oder siehst du das anders?«
    »Absolut. Ich kenne niemanden, der sich so sehr in seine Arbeit reinhängt wie du. So gewissenhaft, so ehrgeizig …«
    »Ehrgeizig?« Wenn Blicke töten könnten, wäre Tom Holyfield in diesem Moment Geschichte. »Du hältst mich für ehrgeizig?«
    »Nein. Komm schon, du weißt doch, was ich damit sagen will.«
    »Und ich hoffe, du weißt, was ich hiermit sagen will«, zischte sie, zeigte ihm den Mittelfinger, machte auf dem Absatz kehrt und ließ Tom Holyfield wie einen geprügelten Hund stehen.
    Kurz darauf betrat sie ihr Büro und pfefferte ihre Handtasche mit Schmackes in die Ecke. Toms Bemerkung hatte ihr den Rest gegeben. Sie öffnete einen der drei Aktenschränke, in dessen Innenseite ein Spiegel angebracht war. Ihr Blick fiel auf die Korallenkette, die sich leuchtend rot um ihren Hals schmiegte; ein überaus wertvolles Andenken an einen ganz besonderen Menschen. Der Anblick der Kette brachte das Kunststück zustande, gleichsam aufwühlend wie auch beruhigend zu wirken. Zärtlich fuhr sie mit den Fingern die Konturen der zackigen Korallenfragmente nach.
    Um den Spiegel herum hatte sie diverse Erinnerungsfotos an die Schrankwand gepinnt. Die meisten Fotos zeigten sie selbst, gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester Meredith in Momenten des Glücks – an Geburtstagen, an Weihnachten oder wie sie sich im Sommer im Garten gegenseitig mit Wasserpistolen nass spritzten.
    Meredith. Der Blick in das engelsgleiche Gesicht ihrer Schwester versetzte Emma einen Stich. Viele Jahre waren seit ihrem schrecklichen Tod vergangen, doch der Verlust hinterließ bis heute eine Lücke und schmerzte wie am ersten Tag.
    Ein Foto stach aus der Masse der Familienerinnerungen heraus. Es zeigte Emma mit Leland Franklin und war bei der Weihnachtsfeier aufgenommen worden, kurz nach Emmas überraschender Beförderung. Auf dem Foto gaben sie und Franklin sich die Hand und lächelten beide verbindlich in die Kamera.
    Seufzend schloss Emma den Schrank und machte sich daran, den unangenehmen Teil des Tages endlich hinter sich
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