Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blow Out (German Edition)

Blow Out (German Edition)

Titel: Blow Out (German Edition)
Autoren: Uwe Laub
Vom Netzwerk:
dass sich der Regen, der auf sein Gesicht fiel, seltsam kalt anfühlte.
    Dann war da nur noch Dunkelheit.

1
    26. Oktober 2052
    Die ersten Sonnenstrahlen des Tages vertrieben das Schwarz der Nacht und wurden glitzernd von der brackigen Oberfläche der Nordsee reflektiert. Unter dem wolkenlosen Himmel zogen Scharen von Möwen ihre Bahn, und in der Ferne dümpelte ein Segelboot mit gerefften Segeln durch die Flaute. Das Meer glich einer einzigen zähen Masse, die sich träge im Rhythmus der Dünung hob und senkte. Nichts deutete auf die für den morgigen Abend angesagte erste Sturmflut des nahenden Winters hin, die über Norddeutschland hereinbrechen sollte.
    Nick Schäfer stand am Bug des Marine-Luftkissenboots, das leise über die Wasseroberfläche dahinglitt. Außer ihm, dem einzigen Zivilisten an Bord, dem Steuermann sowie zwei weiteren Bundeswehrsoldaten befand sich niemand sonst auf dem neun Meter langen Gefährt.
    Nick blickte in Fahrtrichtung voraus, konnte ihr Ziel im Morgendunst aber noch nicht ausmachen. In unregelmäßigen Abständen ragten die Kronen überfluteter Bäume aus dem Meer, abgestorben, ausgebleicht, als streckten riesige Skelette ihre Finger aus dem Wasser. Sie waren der einzige Hinweis darauf, dass sich hier vor gerade einmal fünfzehn Jahren noch trockenes Festland befunden hatte. Das war, bevor die großen Inlandeismassen Grönlands und der Westantarktis begonnen hatten abzuschmelzen. Seitdem stieg der Meeresspiegel rasant und ungebremst stetig an.
    Nick schloss die Augen und genoss den Fahrtwind, der mit morgendlicher Frische in seinen dichten Haarschopf fuhr und die Locken durcheinanderwirbelte. Noch eine Stunde und die Hitze würde einsetzen, zwei Stunden später würde sie unerträglich sein. Nick trug ein helles, kurzärmeliges Hemd, dazu Khaki-Shorts und seine geliebten Chucks. Er massierte sich die verspannten Schultern. In sein überflutetes Heimatdorf zurückzukehren und nach langer Zeit seine Mutter wiederzusehen, wühlte ihn doch ziemlich auf.
    Er wandte sich um und trat neben den Steuermann, der hinter der Plexiglasscheibe am Fahrstand den Joystick bediente, und fischte aus der Brusttasche seines Hemdes eine Packung Zigaretten. Hinter der vom Fahrtwind geschützten Scheibe steckte er sich eine Kippe an.
    »Und ich dachte schon, ich sei hier der einzige Aussätzige«, grinste ihn der Steuermann an.
    »Willkommen im Club«, erwiderte Nick und hielt dem Soldat die Schachtel hin, auf der das abstoßende Bild eines offenen Kehlkopfgeschwürs in Hochglanz abgebildet war.
    »Danke.« Hocherfreut griff der Mann zu. »Tolles Foto.«
    »Ich habe schon Schlimmeres gesehen.«
    »Nicht nur Sie.«
    Unter den missbilligenden Blicken der beiden Soldaten am Bug gab Nick ihm Feuer. Wie würden diese Spießer wohl reagieren, wenn er erst einen Joint aus seinem Rucksack zog?
    »Übrigens, ich heiße Lars Keller.«
    »Nick Schäfer. Wie lange dauert die Überfahrt?«
    »Gute halbe Stunde. Haben Sie es eilig?«
    »Ganz und gar nicht.«
    »Ich bin seit einigen Wochen hier stationiert, aber Sie habe ich noch nie übergesetzt.«
    »Es ist lange her, seit ich zum letzten Mal hier war.« Schuldgefühle keimten in Nick auf, als er an seine Mutter dachte, die seit über zwei Jahren alleine in einem viel zu großen Haus lebte. »Damals konnte man Dörpling noch relativ einfach von Tellingstedt aus erreichen.«
    »Tellingstedt steht inzwischen unter Wasser«, klärte Keller ihn auf. »Zumindest der nordwestliche Stadtteil. Wenn jetzt die Sturmfluten anbrechen, wird es auch für die verbliebenen Einwohner eng.«
    Nick seufzte. »Eine weitere Stadt, die evakuiert und untergehen wird.«
    »Ja, spätestens nächsten Herbst. Ist wirklich ein Jammer.« Geschickt manövrierte der Soldat das Luftkissenboot per Joystick durch einen Wald mit abgestorbenen Bäumen, der wie eine geisterhafte Erscheinung aus dem Dunst auftauchte. Um nicht Gefahr zu laufen, an einem Ast hängen zu bleiben, hielt er respektvoll Abstand, während er um die Stämme herumkurvte. Seine Zigarette nahm er dabei keine Sekunde aus dem Mund. »Gruselig«, sagte er, als sie das tote Waldstück hinter sich gelassen hatten.
    »Frustrierend trifft es eher«, erwiderte Nick.
    »Soll ich Ihnen sagen, was wirklich frustrierend war? Mein erster humanitärer Einsatz in Holland. Acht Monate lang hab ich dabei geholfen, die Deiche aufzuschütten. Dabei wussten wir alle, dass sie nicht zu halten waren.« Keller zeigte auf eine Reihe Straßenlaternen, von denen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher