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Blow Out (German Edition)

Blow Out (German Edition)

Titel: Blow Out (German Edition)
Autoren: Uwe Laub
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nur noch die Lampengehäuse aus dem Wasser ragten. »Das hätte sich niemand träumen lassen, oder?«
    Nick erwiderte nichts. Er hatte keine Lust auf dieses Thema. Obwohl er als freiberuflicher Journalist für Welt im Wandel , ein renommiertes Öko-Magazin, regelmäßig über die weitreichenden Folgen der rasant fortschreitenden Erderwärmung berichtete, hatte er sich an die täglichen Horrormeldungen der Medien längst nicht gewöhnt. Zu oft gab es immer noch Momente, in denen jeglicher Versuch, sich zu distanzieren, kläglich scheiterte. So wie heute, wo er kurz davor stand, zum allerletztem Mal sein Heimatdorf zu sehen, das in Kürze in der Nordsee versinken würde.
    »Was führt Sie eigentlich hierher?«, riss ihn Keller aus seinen trüben Gedanken.
    »Ich bin in Dörpling aufgewachsen. Meine Mutter lebt hier. Noch.«
    »Ich verstehe. Morgen ist der letzte Tag. Sie helfen ihr bei der Hausräumung?«
    »Sie ist vergesslich und hat oft Probleme, die richtigen Wörter zu finden: Demenz. Aber sie hat auch gute Tage.« Hoffentlich würde heute einer davon sein.
    Er hatte keine Lust, mit einem Fremden über die Krankheit seiner Mutter zu reden. »Wie kommen Sie mit der Evakuierung voran?«
    »Obwohl wir vier Boote im Einsatz haben, hinken wir dem Zeitplan hinterher.« Keller verzog das Gesicht. »Zu allem Überfluss ist für morgen auch noch eine Sturmflut angesagt.«
    »Ich weiß. Bringen Sie alle Einwohner nach Kaltenkirchen?«
    »Die meisten. Nur wenige Menschen sind dazu bereit, evakuierte Angehörige bei sich zu Hause aufzunehmen.«
    »Das ist keine Frage der Bereitschaft«, fuhr Nick ihn heftiger an als beabsichtigt. »Kaum einer hat genügend Platz, um bei sich noch jemand unterzubringen. Meine Bude ist so klein, ich könnte mir nicht einmal einen Hamster anschaffen.«
    »Sie müssen sich nicht rechtfertigen.« Keller schnippte seine Kippe über Bord. »In diesen Zeiten muss das niemand.«
    Das Gespräch verstummte.
    Nick konnte seine wachsende Nervosität nicht länger abstreiten. Er stellte sich vor, was seine Mutter in Kaltenkirchen erwartete. Nördlich von Hamburg gelegen, befand sich dort Deutschlands größtes Auffanglager für Klimaflüchtlinge. Zehntausende Menschen aller Nationalitäten hausten dort dicht gedrängt in Wellblechbaracken oder, noch erbärmlicher, in einfachen Zelten. Immerhin hatte Nick für seine Mutter einen Platz in einer der Baracken ergattern können. Die meisten Flüchtlinge stammten wie Lena Schäfer aus den flachen Küstengebieten Deutschlands, die inzwischen dauerhaft überflutet waren. Nach allem, was man so hörte, war die ärztliche Versorgung katastrophal. Was Nick daran erinnerte, in welchem Zustand er seine Mutter bei seinem letzten Besuch in Dörpling vorgefunden hatte. Bei dem Gedanken daran stellten sich ihm die Nackenhaare auf.
    2
    Entschlossen und mit zusammengepressten Lippen bahnte sich Emma Fisher mitten im Herzen Berlins ihren Weg in Richtung Pariser Platz. Der schmale Streifen der Dämmerung im Osten kündigte den heraufziehenden neuen Tag an, und die grellen Reklamespots der allgegenwärtigen Holographiewände an den Gebäuden warfen einen vielfarbigen Lichtschein auf den Asphalt.
    Emma war auf dem Weg zur Arbeit, und sie war stinksauer. Obwohl sie ihr Apartment jeden Morgen um 5.30 Uhr verließ, um rechtzeitig vor der Rushhour in die Botschaft zu gelangen, herrschte in den Straßenschluchten Berlins bereits hektisches Treiben. Gut gekleidete Menschen mit Aktenkoffern schoben sich dicht gedrängt durch die verstopften Straßen. Fast alle telefonierten oder starrten auf die Displays ihrer Armband-Communicators, und nicht wenige trugen eine Holographiebrille auf der Nase. Inmitten des Gedränges bettelte das aus der Innenstadt nicht mehr wegzudenkende Heer Obdachloser um die Überbleibsel der Nahrungsmittel, die die Passanten auf dem Weg zur Arbeit hastig herunterschlangen. Männer und Frauen auf Segway-Rollern flitzten im Slalom an den im Stau steckenden Elektroautos vorbei. Emma hingegen nutzte lieber jede sich bietende Gelegenheit, um sich zu bewegen. Selbst auf die chronisch überfüllte Magnetschwebebahn verzichtete sie, so oft es ging. Sie hasste das ekelhafte Gefühl des Zusammengepferchtseins in den Waggons, die Rempeleien, die mannigfaltigen Ausdünstungen der anderen Fahrgäste. Bevor sie sich das antat, ging sie die paar Kilometer bis zu ihrem Arbeitsplatz lieber zu Fuß.
    Beim Gedanken an ihre Arbeit kam ihr Leland Franklin in den Sinn, und Wut stieg in
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