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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
Autoren: Florian Sitzmann
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auf dieser Ebene nichts für mich, aber ich war schon immer ein sozial eingestellter Typ. Nach meinem Unfall hat sich mein Drang, mich einzubringen, verstärkt, weil ich sehr bald gemerkt habe, dass ich in dieser neuen Situation viel präsenter sein kann als vorher; ich erlange mehr Aufmerksamkeit.
Diese Erkenntnis hat mein ganzes System zum Kribbeln gebracht.
    Mit der Zeit lernte ich Menschen kennen oder erfuhr von ihren Geschichten, die mir halfen zu verstehen, dass ich ein Teil dieser Gesellschaft bleibe, auch wenn ich mich auf Rädern durch die Welt bewege. Ich denke da an den Golfsportler Jens Maspfuhl. Seit vielen Jahren ist er von der Brust abwärts querschnittsgelähmt, sitzt im Rollstuhl und ist – wie er selbst auf seiner Internetseite 3 erzählt – trotzdem glücklich. Er schafft es, sein Leben trotz Behinderung zu wuppen, aktiv und mobil zu bleiben. Er engagiert sich unermüdlich für andere, schafft Rollstühle nach Thailand und sammelt Spenden für die Deutsche Unfall- und Katastrophenopferhilfe e.V. (DUK e.V.), die er selbst ins Leben gerufen hat. Jens’ Querschnittslähmung mit Bruchhöhe C7 bedeutet für ihn, dass auch er eingeschränkte Arm- und Handfunktionen hat. Bei einem Thailand-Urlaub im Jahr 2003 hatte er einen schweren Verkehrsunfall. Auf dem Weg zum Golfplatz wurde er von einem vorbeifahrenden Auto erfasst, flog durch die Luft und brach sich auf der Stelle den Hals. Seit diesem Tag sitzt er im Rollstuhl. Seinen größten Wunsch, auch als Rollifahrer wieder Golf spielen zu können, hat er sich dank seiner unglaublichen Willenskraft erfüllt: Er ist vierfacher Deutscher Meister im Paragolf, also im Rollstuhl-Golfsport. Seine Parole lautet seit seinem Unfall: »Seid stark und gebt nicht auf, wir haben nur dieses eine Leben!«

    Jens hat sich mit seiner Behinderung arrangiert und das Beste daraus gemacht. Er nutzt sie, um Menschen mit anderen Schwierigkeiten zu helfen und um auf Missstände hinzuweisen. Jedes Jahr veranstaltet er ein Charity-Golfturnier, bei
dem Summen von bis zu 10.000 Euro zusammen kommen. Das Geld kommt Menschen zu Gute, die Unterstützung und Hilfsmittel wie zum Beispiel Rollstühle brauchen. Ich finde das beeindruckend und in höchstem Maße förderungswürdig, denn er tut dies aus eigenem Antrieb heraus. Jens Maspfuhl hat sich von seinem Schicksal nicht unterkriegen lassen, sondern es angenommen und zum Guten gewendet. Er hat es geschafft, seine Leidenschaft, die er als Fußgänger hatte, in die neue Situation im Rollstuhl mitzunehmen – was zugegebenermaßen nicht in jedem Fall möglich ist.

    Dem zweiten Kandidaten auf meiner Vorbilder-Liste, Estevan, ist dies ebenfalls gelungen. Estevan hat eine Muskelschwunderkrankung, weswegen er ebenfalls im Rollstuhl sitzt. In seinem Fall ist es ein E-Rollstuhl, ein relativ schmales Modell. Estevan hat mit anderen einen Verein gegründet, der sich Rollis für Afrika e.V. nennt und Hilfsmittel und Geld für Menschen aus Afrika sammelt. Auch Estevan ist für mich eine beeindruckende Persönlichkeit, weil er etwas aus seinem Schicksal macht. Er kann, so erzählt er es selbst in einem Film 4 , außer den Zehen und dem rechten Arm nichts bewegen. Mit dem Arm kann er gerade mal den Joystick seines E-Rollstuhls bedienen. Ansonsten ist er 24 Stunden am Tag auf fremde Hilfe angewiesen. Er engagiert sich für die Gesellschaft in unserem Land, spricht, wie ich auch, vor Schulkindern über sein Handicap und lehrt sie, über ihren Tellerrand als körperlich Unversehrte hinaus zu schauen. Sie sollen begreifen, dass es nicht jedem Menschen in Deutschland so leicht fällt, sich frei zu bewegen. Dazu nimmt er zum Beispiel einen zweiten Rollstuhl mit in die Schulklassen und stellt den Kindern dann
Fragen wie: »Wie behindertengerecht ist denn eigentlich eure Schule? Versucht doch mal, mit dem Rollstuhl auf die Toilette zu kommen!« Ein Kameramann begleitet dann die Kinder, die ins Klo fahren und natürlich feststellen, dass sie dort ihre liebe Not mit dem Rollstuhl haben. Also schon wieder eine Schule entdeckt, die im Sinne der Integration für Rollstuhlfahrer ungeeignet wäre! Estevan leistet tolle Aufklärungsarbeit an der Basis. Er baut Berührungsängste ab und regt die Kids und ihre Lehrer zum Nachdenken an. Einmal forderte er einen Schüler auf, sich auf den Boden zu legen. Er fragte ihn, wie das wohl für ihn wäre, wenn er den ganzen Tag so auf dem Rücken liegen müsste. Was er wohl in dieser Situation noch machen könnte? Der
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