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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary.
Autoren: Tom Sharpe
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Hartang. Er fühlte sich schauderhaft. Das hier war sein zukünftiges Leben, und so stellte er sich die Hölle vor.
    Der Kaplan sprach das Tischgebet, und man bot Hartang den Rektorenstuhl an. Zu seinen beiden Seiten nahmen die Fellows Platz, und am anderen Ende saß Skullion in seinem Rollstuhl und betrachtete wohlgefällig die Tafel. Wenigstens wurden keine Abstriche an dem gewohnten Niveau gemacht. Das Silber war poliert, und der alte Eichentisch war gewachst worden, bis er spiegelte. Und doch hatte er noch immer Bedenken, daß die Fellows ihn erneut hinters Licht führen würden. Sogar der Anblick des Speisesaals verstärkte seine Besorgnis, weil er Erinnerungen an Feste und bedeutende Gelegenheiten weckte, bei denen er, Skullion, Collegebediensteter gewesen war, und dies mit einigem Stolz. Skullion versuchte jeden Gedanken an den Sirenenruf dieser Vergangenheit weit von sich zu weisen und wappnete sich mit Verachtung für die Gegenwart. Hilfreich war, daß ihm der Dekan gelegentlich einen ängstlichen Blick zuwarf. Diese Männer waren ebenso alt und gebrechlich wie er, aber ihre Schwäche wog schwerer: Sie hatten ihren Schwung verloren. Daß dies nicht für ihn galt, würden sie schon merken. »Hoffentlich gibt es kein übermäßig schweres Essen«, sagte Hartang zum Praelector.
    »Ich versichere Ihnen, Rektor, die Speisenfolge wurde sorgfältig und mit besonderer Beachtung Ihrer Konstitution zusammengestellt. Bestimmt mögen Sie deutschen Wein. Wir beginnen mit Vichyssoise, dazu wird ein delikater Rheinwein gereicht. Es folgt der kalte Lachs, eine Spezialität des Küchenchefs und eine Lieblingsspeise der Königinmutter.« Er brach ab, damit der Dekan Gelegenheit bekam, von seiner Begegnung mit der Königinmutter – damals noch Königin – und dem König auf dem Schlachtschiff Duke of York zu erzählen, dem Flaggschiff der britischen Flotte in Heimatgewässern während der Flottenparade im Jahre 1947 auf dem Clyde. Die leitenden Fellows kannten diesen Schwank auswendig, und Hartang interessierte sich nicht für Könige und Königinnen, wenn er sie nicht in der Hand hielt, doch die Geschichte half ihnen über die Suppe und den Lachs hinweg. Hartang dachte nur daran, daß er in Sicherheit war. In Sicherheit und gelangweilt. Seine Gedanken wanderten nach Thailand und zu dem Strandhaus, das er dort besaß, und zu all den Dingen, die er tun würde, wenn er dort wäre, statt hier bei diesen Mummelgreisen zu hocken.
    Wenig später wurde ihm jedoch zur grausigen Gewißheit, daß er keineswegs in Sicherheit war. Die Türen am anderen Ende des Speisesaals unter der Musikgalerie wurden aufgestoßen, und die vier eintretenden Kellner trugen einer monströsen Bahre gleich ein gigantisches Schwein auf den Schultern, einen hauerbewehren Eber mit geschwärztem Apfel im Maul. Ihnen folgten Kellner mit noch zwei solchen Kalibern. Und neben dem ersten Schwein schritt ein von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleideter Kudzuvine, in den Händen ein riesiges Tranchiermesser samt Gabel. Mehrere Sekunden lang starrte Hartang die grauenhaften Viecher schreckensbleich an. Die an den langen Tischen sitzenden Studenten schrieen und klatschten begeistert. Im Speisesaal herrschte das Chaos. Dann rappelte sich der Finanzier mit einem nur für ihn hörbaren Schrei – er öffnete den Mund, aber es kam kein Ton heraus – mühsam auf, ohne den Blick von dem immer näher kommenden Monstrum wenden zu können. Das war der Tod, und Kudzuvine war sein Vorbote. Der große Stuhl des Rektors kippte krachend um, und Hartang wich zurück, von Grauen gepackt. Die Fellows beachteten ihn nicht. Staunend und voller Begeisterung betrachteten sie den Eber. Das schlichte Tischgebet des Kaplans, »Dem Herrn sei Dank für das, was er uns in Kürze bescheren wird«, war mehr als erhört worden. Genau wie der Wunsch des Praelectors. Hartang stolperte ein paar Schritte und fiel. »Kudzuvine, kümmern Sie sich um Ihren Rektor«, befahl der Praelector, und Kudzuvine kam um den Tisch herum, doch sein Eingreifen war nicht erforderlich, um diese Farce zu beenden. Hartang war bereits tot.
    »Ein Porterhouse Blue, oder was meinen Sie?« erkundigte sich der Obertutor, als die Leiche entfernt und der große Eber vom Koch persönlich tranchiert worden war. »Weniger ein Schlaganfall als ein Angstanfall, wenn Sie mich fragen«, antwortete der Dekan, dem plötzlich einfiel, daß auf dem Tonband von Hartangs Angst vor Schweinen die Rede war. »Es sieht so aus, als müßten wir uns
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