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Bloody Mary.

Bloody Mary.

Titel: Bloody Mary.
Autoren: Tom Sharpe
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ihn und seines Todes getrunken hatte, nicht vor dem sogenannten Zwischenfall. Die Theorie, er sei gefallen und habe sich den Schädelbruch wegen seiner Trunkenheit zugezogen, ist nicht hieb- und stichfest.« »Stimmt, stimmt genau«, sagte Mr. Lapline, froh, daß er ihr in diesem Punkt zustimmen konnte.
    »Womit wir bei der Flasche wären«, fuhr Lady Mary fort. »Flasche? Welche Flasche?«
    »Die Flasche Whisky natürlich. Sie war weg.« »War weg?«
    »Ja, weg, weg, weg. Wie oft muß ich mich noch wiederholen?«
    »Überhaupt nicht mehr, Verehrteste«, sagte Mr. Lapline rasch. »Aber wie sicher können Sie sich da sein? Schließlich waren Sie damals zutiefst verzweifelt, und ...«
    »Ich bin nie zutiefst verzweifelt, Lapline«, raunzte Lady Mary ihn an.
    »Dann eben verwirrt, und womöglich kam Ihnen gar nicht der Gedanke, in einem solch erschreckenden Augenblick nach der Flasche zu suchen. Außerdem könnten irgendwelche Bediensteten sie weggeworfen haben.«
    »Er kam, und sie taten es nicht.«
    »Er kam. Und sie taten es nicht«, sagte Mr. Lapline unwillkürlich und ehe er merkte, daß er ihre Worte nachplapperte. »Ich wollte sagen ...«
    »Mir kam noch am selben Abend der Gedanke, nach Whisky zu suchen, und die Flasche war fort. Ich sprach mit dem französischen Aupair-Mädchen, das ohne Frage keine Ahnung hatte, was damit passiert war. Im Mülleimer lag sie auch nicht.« »Wirklich?« frage Mr. Lapline leichtsinnigerweise. »Ja, wirklich«, sagte Lady Mary. »Wenn ich sage, ich habe im Mülleimer nachgesehen, und da war sie nicht, war sie’s auch nicht.«
    »Unbedingt.«
    »Mehr noch, wer auch immer Godber ermordet hat, zwang ihn vorher, als er hilflos war und im Sterben lag, besagte Flasche zu leeren, damit es so aussah, als hätte er im betrunkenen Zustand einen Unfall gehabt. Habe ich mich klar ausgedrückt?« »Vollkommen«, sagte Mr. Lapline ohne Bedenken. »Klar wie Kloßbrühe.«
    »Dann beging der Mörder den Fehler, die Flasche zu entfernen, damit die Polizei seine Fingerabdrücke darauf nicht fand. Hoffentlich ist auch das klar wie Kloßbrühe.« »Aber ja. Sehr überzeugend«, behauptete Mr. Lapline. »Wirklich schade, daß dieser Beweis bei der gerichtlichen Untersuchung der Todesursache nicht vorgelegt wurde. Sonst hätte nämlich der Leichenbeschauer zweifellos seinen Befund verschoben, damit die Polizei weitere Ermittlungen hätte vornehmen können.«
    Lady Mary wehrte sich entrüstet. »Bedenkt man, wie rasch die Untersuchung abgeschlossen wurde und in welcher geistigen Verfassung ich damals war, finde ich diese Bemerkung alles andere als hilfreich. Schließlich hatte ich unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß mein Gatte ermordet worden war und ich wollte, daß der Gerechtigkeit Genüge getan wird.« »Das haben Sie allerdings. Ganz ohne Frage«, stellte Mr. Lapline fest, der sich mit beträchtlichem Widerwillen an diese Szene erinnerte. Ausbrüche während einer gerichtlichen Untersuchung, in deren Verlauf eine hysterische Mandantin den Dekan und die Fellows eines berühmten Colleges in Cambridge des Mordes beschuldigte, gehörten zweifellos nicht zu seinen Vorlieben.
    »Andererseits...«
    »Nicht zu vergessen die Frage des Telefons«, fuhr Lady Mary unbeirrt fort. »Warum war es vom Tisch gezerrt worden? Doch wohl, um zu verhindern, daß Godber Hilfe holte. Und daß sämtliche Whiskygläser unangetastet waren, beweist schließlich, daß man ihn gezwungen hat, das Zeug zu trinken. Wie viele Beweise brauchen Sie noch?«
    »Na ja, immerhin hätte er auch...« Mr. Lapline brach ab. Es war wohl kaum empfehlenswert anzudeuten, daß Sir Godber auch aus der Flasche hätte trinken können. Lady Mary mochte zwar jede gute Sache unterstützen, die vorgab, im Dienst der Unterschicht zu wirken, aber sie würde kaum wohlwollend auf abfällige Bemerkungen reagieren, die sich auf das Benehmen ihres verstorbenen Mannes bezogen. Gentlemen tranken Whisky nicht pur aus Flaschen. Nicht, daß Mr. Lapline geglaubt hätte, Sir Godber Evans wäre ein Gentleman gewesen. Er hielt ihn lediglich für einen gescheiterten Politiker – er war Minister für Forschung und Technologie gewesen –, den man auf den Posten des Rektors von Porterhouse abgeschoben hatte. Und um es auch nur so weit zu bringen, hatte er die denkbar unattraktivste Frau geehelicht, weil sie wohlhabend und einflußreich war. Während er ihre schmalen Lippen und die spitze Nase betrachtete, fragte sich Mr. Lapline zum wiederholten Mal, wie das
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