Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bloodman

Bloodman

Titel: Bloodman
Autoren: Robert Pobi
Vom Netzwerk:
in die richtige Haut zu schlüpfen. Das tat er immer, wenn er zur Arbeit ging – jedes Mal, wenn er gezwungen war, den Toten gegenüberzutreten, den Verstümmelten und Erniedrigten, aus denen sich seine Klientel zusammensetzte.
    Er panzerte sich damit innerlich. Im Unterschied zu den meisten Männern, mit denen er beim FBI zusammenarbeitete, drohte ihm keine unmittelbare körperliche Gefahr. Aber als der Erste am Schauplatz einiger der grausamsten Morde auf dem Planeten, war Jake ständig dem Risiko ausgesetzt, beschädigt zu werden von dem emotionalen Bombardement der blutigen menschlichen Skulpturen, die er interpretieren musste. Statt mit einer schusssicheren Weste und einem Sturmhelm schützte er sich mit einem sorgfältig konstruierten Schild, der die Weichteile seiner Psyche vor Schaden bewahrte. Bevor Jake einen Tatort betrat, packte er Teile seines Selbst beiseite und brachte sie in einem abgeschlossenen Bereich seines Verstandes in Sicherheit, damit sie nicht in den Prozess hineingezogen wurden, der ihn gleichermaßen abstieß und faszinierte. Wenn dann alles vorbei war und er seinen Arbeitsplatz verließ, konnte er mit dieser Methode weiter funktionieren, ohne einen Stresskoller zu bekommen. Jedenfalls theoretisch.
    In letzter Zeit fiel es ihm allerdings immer schwerer, die Todeszone zu betreten, und heute Nacht schien der Schalter in seinem Kopf, der ihn sonst in einem Augenblick von null auf hundert kommen ließ, einen Kurzschluss zu haben. Bei jedem anderen hätte er Verständnis dafür gehabt. Mitgefühl. Aber sich selbst gestand er das nicht zu. Das konnte er nicht. Er hasste es, dass das Bild seines Vaters, wie er da unter Beruhigungsmitteln in seinem Krankenhausbett lag, seinen Kopf infizierte; er brauchte diesen Raum jetzt unbedingt für sich selbst.
    Genau genommen ging es nicht nur um seinen Vater – sondern einfach um die Tatsache, dass er hier war. Dass er zurück war. Das Haus wieder betreten hatte. Um diesen gottverdammten zerbrochenen Aschenbecher mit dem angeklebten Stück, der immer noch auf dem Boden herumstand. Um all die kleinen, widerwärtigen Leinwände, die ein Maler, der einmal einer der ganz Großen gewesen war, während seines Höllenritts in den Wahnsinn zusammengeschustert hatte. Es ging um den Geruch des Ozeans. Darum, den Montauk Highway entlangzufahren. An Spencer und die alte Corvette zu denken. An die Grassode im Kühlschrank. Den veralgten Pool. Einfach alles.
    Jake atmete tief durch, schob den überflüssigen mentalen Ballast beiseite und bereitete sich geistig darauf vor, die Zone zu betreten. Er nahm kaum noch etwas wahr, sein Blick verengte sich auf die Straße, die sich unter dem grellen Licht der Scheinwerfer abrollte, die Randstreifen, zwischen denen er den Wagen halten musste. Er schaltete mit Zwischengas in den Vierten hoch, trat das Gaspedal durch und spürte das Flattern von tausend Schmetterlingsflügeln in seinem Magen, als der Wagen auf einem kleinen Buckel in der Straße, die sich wie eine schwarze Schlange an der Küste entlangwand, beinahe abhob. Der Sicherheitsgurt packte seinen Körper, und dann sackte der Dodge auf den Rücken der Schlange zurück und drückte Jake in den Ledersitz. Wieder trat er fest aufs Gas, und der Wagen schoss donnernd vorwärts, Benzin in Geschwindigkeit umwandelnd.
    Ein paar Minuten später erblickte Jake das Funkeln von Polizeilichtern wie eine Weihnachtsbeleuchtung ein Stück weiter vorn, abseits der Straße und teilweise verborgen hinter den dunklen Zähnen von Baumstämmen. Er nahm den Fuß erst im letzten Moment vom Gas und schaltete rasch vom Vierten in den Zweiten herunter. Er trat auf die Bremse, dann schwang er mit schleuderndem Heck in die Zufahrt, während sich der Sicherheitsgurt in seine Hüften grub und der Hemi-Motor knurrend gegen den mangelnden Zufluss von Lebenssaft zu seinem Herzen protestierte.
    Imposante Steinpfosten mit einem schweren, schmiedeeisernen Tor markierten den Weg. Zwei schwarz-weiße Polizeiwagen aus Southampton bewachten die Durchfahrt, eine Opernaufführung ohne Ton in blitzenden Rot-, Weiß- und Blautönen. Jake lenkte den Charger durch das Tor und hielt an. Einer der uniformierten Beamten kam an sein Fenster geeilt, eine Taschenlampe hing locker an seiner Hand.
    Da sich Jake mit dem Polizeiprotokoll auskannte, vermied er es, aufzublicken – der grelle Strahl der Taschenlampe aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher